Sterbendes Licht

Genre: Fantasy, Dunkle Magie

Liebe Leserinnen und Leser,

 

die vorkommenden Charakter sind schon mehrere Jahre alt und aus einer früheren Zeit von mir, wo ich noch keine Geschichten für die Öffentlichkeit schrieb, sondern maximal nur für mich oder gemeinsam mit anderen. Die Geschichte der Charakter ist lang und passt deswegen in diese Geschichte nicht komplett rein. Es gibt sehr viel, was ich noch dazu hätte schreiben können, aber ich habe mich auf die wichtigsten Punkte gestützt, um sie hervor zu heben.

Ich hätte an vielerlei Stellen mehr ins Detail gehen können, hätte noch mehr Ereignisse oder Umgebungen beschreiben können. Aber dann hätte ich ein Buch geschrieben und keine Geschichte (fast 13000 Wörter). Also habe ich schlussendlich doch ein bisschen abgekürzt, auch wenn das vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussieht.

 

Viel Spaß beim Lesen!

 

Liebe Grüße

Alexia Drael 

 

Das Kopieren bzw. Entwenden der Bilder wie auch Texte sind ohne ausdrückliche Erlaubnis von Alexia Drael nicht erlaubt.


Sterbendes Licht

 

»Wenn die Welt in Dunkelheit gehüllt wird, 

steigt meine Macht an und ich werde unsterblich sein.«

Elyrik Dunathon

 

Der stechende Blick in seinem Rücken störte ihn nicht, obgleich er seit Stunden anhielt. Ehrgeizig folgte er dem Weg vor sich und ließ sich nicht abbringen während hinter ihm das Gemaule lauter wurde. Das Zetern des Weibes konnte nervtötend sein, doch wenn man die Fähigkeit besaß, es einfach auszublenden, war es nicht mehr annähernd so dramatisch. Sollte sie sich aufregen, es kümmerte ihn nicht. Sie stand unter seinem Bannfluch und würde ihn nicht brechen können. Tatsächlich trieb dieses Detail ein Lächeln auf seine Lippen, die wohlgeformt für Fremde aussahen, in der Wirklichkeit aber trocken und rau waren. 

Nach einer Weile blieb er dann doch stehen. Natürlich hatte das nichts damit zu tun, dass mittlerweile Steine von hinten nach vorn flogen und kein einziges Mal trafen. Nicht, dass es an ihrer Unfähigkeit lag zu zielen. Ganz im Gegenteil, sie könnte ihn sehr gut treffen, direkt am Kopf, um ihm eine blutende Platzwunde zu bescheren. Es war lediglich nur so, dass seine magischen Kräfte die ihrigen überstieg und er allein deswegen im Vorteil lag. Selbst wenn sie es anlegte, ihn zu treffen, so würde sie es nicht schaffen. Seine Schutzzauber waren stark und ließen jeden geworfenen Stein einen Meter vor ihm an einer unsichtbaren Mauer abprallen. 

Mit einem Seufzen drehte er sich um und starrte ihr direkt in die Augen. Während seine vom tiefen Blau eines Ozeans sprachen, stachen ihre Iriden blutrot heraus. Ihre Mundwinkel waren zu einer wütenden Fratze verzogen und an ihrer Schläfe pochte eine Ader knapp unter der Haut, bei der er schon Angst bekam, sie würde gleich platzen. Kein schönes Bild und auch keine schöne Angelegenheit, wenn man ihn danach fragte. Doch er wusste, dass er sich jeglichen Kommentar dazu sparen konnte, sie würde sich nur noch mehr aufregen. Das Weib war von der reizenden Sorte und das war nicht im positiven Sinne gemeint. Ihr Geduldsfaden war hauchdünn und sehr kurz und wenn man etwas von ihr verlangte, was gegen ihren Willen war, dann konnte man davon ausgehen, dass sie alles andere als kooperativ war. Stattdessen durfte man sich mit fliegenden Steinen begnügen und lautem Gezeter, welches durch den gesamten Wald hallte. Gut, dass sie hier allein waren und kein Wanderer daher kam. Die Wanderer waren sie selbst, um sein Ziel zu erreichen. Ja, sein Ziel, nicht ihres. Dabei sollte sie sich eigentlich glücklich schätzen, denn im Großen und Ganzen würde sie am Ende auch etwas davon haben. Natürlich war sie nicht so weitsichtig, weswegen dieses kleine Detail völlig an ihr vorbei ging, aber das störte ihn nicht weiter. 

»Wir können gern so weiter machen oder du hörst damit au-« Mitten im Satz wurde er unterbrochen, als ein weiterer Stein flog. Sie müsste wissen, dass das nichts brachte. Auch nicht, wenn sie mit herum liegenden Ästen nach ihm warf und stach. Ein erneutes Seufzen drängte sich aus seiner Kehle und er schüttelte den Kopf. Das Weibsbild hätte er dort gelassen, wo er es gefunden hatte, wenn sie nicht besondere Kräfte verfügen würde. Dummerweise gehörte sie zu der Sorte, die keinerlei Interesse an einer Zusammenarbeit pflegte, weswegen er – wenn man es so nennen möchte – ein bisschen nachgeholfen hatte. Natürlich gegen ihren Willen. Wäre es mit ihrem Willen gewesen, wäre er gar nicht erst genötigt wurden, sie mit einem Bannfluch zu belegen. Welch hübsches Zeichen sich doch auf ihre Stirn eingebrannt hatte, was nur er und sie selbst sehen konnte. Wenn sie denn mal in den Spiegel sah … Sie sollte es vielleicht sein lassen. Manch einer würde sich bei ihrer Erscheinung zu Tode erschrecken. 

»Du vermaledeiter Magier! Widerwärtiger Mistkerl! Du Abschaum einer …!«, meckerte sie wie eine Ziege und er verdrehte nur die Augen. 

»An jenem Punkt waren wir bereits, Herzchen«, begegnete er ihr und wusste ganz genau, dass er mit dem Kosenamen sie nur noch weiter aufregen würde. Was sollte er sagen? Es amüsierte ihn, sie zu reizen, obgleich er eigentlich das nicht tun sollte, um endlich Ruhe vor ihrem Gezeter zu bekommen. Kurz überlegte er, ob er sie verstummen lassen sollte. Mit einem Zauber, schließlich gab es in dieser Welt so einige Möglichkeiten. Doch das wäre nicht der richtige Weg. Gut, man konnte sich sowieso darüber streiten, ob er den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Die Menschen in dieser Welt würden ihn als verrückt bezeichnen, als Monster und Tyrannen, als bösen Schwarzmagier, der ihnen Unrecht widerfahren lassen wollte. Ganz so Unrecht hatten diese Menschen nicht. Sich mit ihm anzulegen war keineswegs eine gute Idee. Jemanden in eine Kröte zu verwandeln, wäre für den Verfluchten das kleinere Übel. Jemanden explodieren zu lassen, nun das wäre eine große Schweinerei, würde aber jeglichen Widerstand im Keim ersticken. Der Gedanke daran erheiterte ihn, brachte ihn aber auch nicht weiter, schließlich konnte er diese Hexe nicht einfach in ihre Einzelteile zersprengen. 

Könnte er schon, aber das wäre gegen seinen Plan, den er durchführen wollte und wozu er ihre Hilfe benötigte. 

Sicher, sicher, er besaß unendlich viel Macht – wie manch Dichter es beschreiben würde –, nur benötigte er mehr als das. Die Dunkelheit, die er erschaffen wollte, war zwar gut und schön und er konnte viel dadurch ausrichten, aber schlussendlich brauchte er eine Armee. Auf Lebende wollte er sich nicht verlassen. Die verrieten ihn, sobald er sich wegdrehte. Nein, Lebende waren keine Option. Untote hingegen schon eher und da kam Miss Meckerziege ins Spiel. Leider war sie ihm nicht sonderlich wohlgesonnen. Vielleicht lag es daran, dass sie sich sehr ähnelten und doch so verschieden waren. Während sie eine vereinsamte Hexe war, die Freude daran hatte, Lebewesen zu quälen, mit Knochen zu spielen und ihre eigene, dunkle Magie dazu missbrauchte die Knochen zum Leben zu erwecken, besaß er weit größere Ziele. Wie erwähnt, manch einer würde ihn für verrückt erklären, vielleicht auch für größenwahnsinnig. Möglicherweise hatten sie damit sogar Recht und er war es tatsächlich. Aber warum sollte er nicht nach mehr Macht streben wollen? Nach Unsterblichkeit und der ewigen Dunkelheit, in der die Toten besser existieren konnten, als im strahlenden Sonnenschein? Mal ehrlich, wer erfand dieses helle Ding am Himmel? Er hasste die Sonne und alles, was damit zusammenhing, also würde er etwas dagegen unternehmen. Mit der Hilfe der Todeshexe, die noch nicht begriffen hatte, welch ausgeklügelten Plan er besaß und welche Vorteile sie selbst davon hatte. Natürlich nur solange sie ihm diente. Sollte sie anfangen ihren eigenen Kopf durchsetzen zu wollen, war’s das. Ein bisschen schade, sie konnte trotz aller Nervigkeiten recht amüsant sein. Sie wie eine Marionette nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, gefiel ihm sehr. Wenn sie nicht so störrisch wäre … 

»Bist du nun fertig oder muss ich dich wirklich dazu zwingen?«, wollte er von ihr wissen, um endlich weiter voran zu kommen. Sie konnten zwar ewig hier herum stehen, aber das war weder sein Begehren, noch glaubte er, dass sie auf Dauer Freude daran hätte dieses kleine Fleckchen Erde zu bestaunen. 

»Nimm den Bannfluch von mir!«, forderte sie und er seufzte das wievielte Mal auf?

»Sicher, natürlich, tue ich gerne, wenn du freiwillig für mich arbeiten würdest«, antwortete er ihr und betrachtete ihr erscheinendes, süffisantes Lächeln, was ihn überzeugen sollte. Oder auch nicht. 

»Darüber lässt sich gewiss verhandeln«, meinte sie beinahe in einem versöhnlichen Ton. Fast hätte er es ihr abgekauft. Als er ihr begegnet war und ohne Fesseln ihr seinen Vorschlag unterbreitet hatte, mit ihm zusammenzuarbeiten, hatte das ganz anders ausgesehen. Sie hatte gelacht und ihn zum Teufel jagen wollen. Dummerweise war er ein Meister in der Kunst der Illusionen und so war ihr völlig entgangen, welche Macht tatsächlich in ihm ruhte. Nach außen hin wirkte er schon fast wie ein normaler, sehr langweiliger Mann. Nichts Besonderes an ihm. Der lange dunkelblaue Mantel, der mehr einer Robe glich, war gar nicht so auffallend in dieser Zeit und sein kurz geschnittenes braunes Haar wirkte richtig brav. Selbst das Lächeln auf seinen Lippen brachte manch Frauenherz zum schneller Schlagen. Wenn sie wüssten, dass er gar nicht so charmant war und auch nicht ganz so normal aussah, würde ihnen allen das Herz in die Hose oder besser gesagt in den Rock ihres Kleides rutschen. Aber er konnte schlecht mit seiner wahren Gestalt herum laufen. Sofort würde man erkennen, dass er nichts Gutes im Schilde führen konnte und das wollte er vermeiden. Die Menschen auf den ersten Blick verschrecken, war vielleicht die Taktik von dämlichen Orks oder anderen dümmlichen Untieren, aber nicht die seinige. Er bevorzugte in der Regel den diplomatischeren Weg und wenn dieser erforderte, dass er hier und da einen kleinen Zauber anwandte oder einen Bannfluch aussprach, dann war ihm das nur recht. Ein offener Kampf war so schmutzig und anstrengend, dass er diese gerne vermied. Sich die Köpfe einschlagen, das durften gerne die besoffenen Männer, die nach der Arbeit nichts besseres zu tun hatten, als in die Taverne zu gehen, weil zuhause ein nerviges Weib mit noch nervigeren Kindern auf sie wartete. Erstaunlich, warum Menschen nach so einem Leben strebten. Er war zwar intelligent, aber dieses Begehren der Menschen hatte er nie verstanden. Es schien so … absurd. 

 

»Also?«, wollte die Hexe wissen und riss den großen Elyrik Dunathon aus seinen Gedanken heraus. 

»Also?«, wiederholte er, kurzzeitig nicht wissend worum es ging, ehe es ihm wieder einfiel.

»Nein, natürlich nicht«, gab er ihr die Antwort, die sie nicht haben wollte. Er würde den Bannfluch, den er auf sie gelegt hatte, nicht lösen. Der Grund war einfach zu erklären: Sie würde ihre gesamte Magie einsetzen, um ihn zu vernichten. Auch wenn er davon überzeugt war, dass sie das nicht vollends schaffen würde, so wäre es ein harter Kampf, den er nicht gewillt war einzugehen. Seine Fähigkeiten wollte er für anderes, für Wichtigeres einsetzen. Nicht etwa dafür, eine rachsüchtige Hexe zu besiegen, die selbst über den Tod herrschte. Nicht ohne Grund hatte er sie auserwählt, ihn zu begleiten. Zwar gegen ihren Willen, da sie an ihm gebunden war, trotzdem aber noch selbstständig denkend. Er hätte sie zu seiner einzigartigen Marionette machen können, aber das war nicht der Sinn und Zweck ihres Daseins. Er brauchte ihr Wissen, ihre Macht, die sie selbst angesammelt hatte, ihre Fähigkeiten, die sie mit mehr oder weniger freiem Denken viel besser einsetzen konnte – nicht gegen ihn, sondern für ihn – als dass sie sich gegen ihn wandte. Sie würde an ihm gebunden bleiben und das solange wie er es für nötig hielt. Natürlich war ihm ihr Zorn gewiss, aber darüber konnte er hinweg sehen. Es ging nicht darum Händchen zu halten, sondern die Welt untertan zu machen! Der geneigte Leser möge sich ein bösartiges Lachen an dieser Stelle vorstellen, während Elyrik Dunathon sich von der Hexe abwandte und die Diskussion damit für ihn beendete. Die Hexe würde ihm weiterhin folgen müssen, doch ihre Unlust darüber tat sie schnell wieder kund.

»Wie lange muss ich noch durch diesen Sumpf wandern?«, wollte sie pikiert wissen. Der dunkle Magier warf einen kurzen Blick zu Boden, wo viel war, aber ganz sicher kein Sumpf. Weiches Moos, hier und da ein Steinchen und viel Geäst, Gräser und liegendes Laub. Ihre Wortwahl zeigte ihm nur noch mehr, wie genervt sie von dieser Wanderung war, doch konnte er sie beruhigen.

»Nicht mehr lange, Liebchen.« Der Kosename führte zum erneuten Aufschnauben und mürrischen Gebrabbel der Hexe, die ihm ganz gewiss sehr gern einen dicken Ast über den Schädel gezogen hätte, wären da nicht seine Schutzzauber im Weg. 

»Ein Dörfchen wartet nur ein paar Meilen hinter dem Wald auf uns. Dort werden wir rasten und dann …« Der an ihm vorbei fliegende Stein wurde vollends ignoriert. Wenn sie Freude daran besaß, Steinweitwurf zu betreiben, würde er sie nicht davon abhalten. Hauptsache sie verletzte sich selbst nicht dabei … 

 

»Herrlich, dieses kleine Dorf mit dem niedlichen Gasthaus und …« Er wollte noch mehr sagen, aber die rot glühenden Augen, die ihn anstarrten, brachten ihn für einen Moment zum Verstummen. Die Hexe hatte die Arme vor ihren Körper verschränkt, die sonst in ihrem langen, schwarzen Mantel verschwanden. Ihre blasse Haut war rissig, als würde sie aus ausgetrocknetem Lehm bestehen. Der Eindruck täuschte, aber besser hätte man es nicht beschreiben können. Schwarze Äderchen waren mal hier und da zu sehen, abhängig davon wie nah sie unter der Haut an der Oberfläche lagen. Die Hexe war wie bereits erwähnt kein besonders ansehnliches Geschöpf. Nicht, dass sie große Warzen besaß. Das nicht. Es war eher die Dunkelheit und vor allem der Tod, der ihr ins Gesicht geschrieben stand. Dabei besaß sie in Wirklichkeit eine recht hübsche Gesichtsform und hätte bestimmt auch rosig weiche Wangen gehabt, wenn die dunkle Magie ihren Körper nicht schon so sehr verändert hätte. Die Blässe stand ihr, das musste er zugeben, aber würde er sich eine Frau suchen wollen, wäre sie nicht seine erste Wahl. Weder vom Aussehen noch vom Charakter. Ihre Augen waren zu unheimlich, ihre giftgrünen langen Haare wirkten strohig und deuteten auch ihre Persönlichkeit an, denn giftig war sie schon immer gewesen. Sie spuckte gern Beleidigungen aus und meckerte so gern über ihn, dass er sich manches Mal wünschte, sie wäre anders. Etwas zarter gebaut, etwas sanfter von der Einstellung, etwas … Nein, eigentlich stimmte das nicht. Er wäre enttäuscht, würde sich das Weibsbild nicht ständig aufregen und ihm auf die Nerven gehen. Irgendwie würde er etwas vermissen, immerhin waren sie nicht erst seit gestern unterwegs. Sie beide hatten ein einsames Leben geführt und wenn man so will, taten sie es immer noch. Es war nicht so, dass sie nicht unter Menschen gingen, doch wenn sie die Gesellschaft suchten, dann im Hinblick darauf jemanden zu verzaubern, zu opfern, jemanden in die Falle zu locken mit dessen Gedärme man mancherlei Dinge anstellen konnte oder einfach nur aus Zeitvertreib sich der dümmlichen Konversation hinzugeben. Die Hexe hasste jegliches Leben und wollte es tot sehen. Ohne Grund war sie nicht die Todeshexe und geschickt darin Knochen zu bewegen. Er hingegen liebte die Einsamkeit allein deswegen, dass niemand ihn in seinen Gedankengängen störte. In Begleitung mit der Hexe war das manchmal ein wenig schwierig, da diese einen starken Drang zum Reden besaß. Nicht etwa, um einen netten Plausch zu halten, nein, nein, es musste stets der Unmut bekundet werden. 

»Ich hoffe, es gibt dort einen Friedhof«, murrte die Hexe, ihn immer noch giftig ansehend. Herzallerliebst wie eh und je. 

»In jedem Dorf gibt es einen Friedhof, denn es gibt keinen Ort, wo nicht der Tod mit seiner Anwesenheit glänzt«, antwortete er ihr und brachte ein Lächeln auf ihre Lippen zustande. Wie wundervoll, wenn die dunklen Lippen sich dermaßen verzerrten. Lieblich war es nicht, eher gruselig. Gut, dass er vor Schreckgespenstern keine Angst besaß, doch wäre ein armes Kind hier, nun … 

Er hob seine Hand und die Hexe machte einen Schritt von ihm fort. An und für sich sollte das ihn nicht stören, doch er schenkte ihr nur einen fragenden Blick, obgleich ihrer seltsamen Reaktion.

»Was hast du vor? Den nächsten Zauber aussprechen?« Sie spuckte die Worte nur so vorwurfsvoll aus, dass er einen leichten Drang dazu verspürte, beleidigt zu sein. Was wollte sie ihm da nur wieder unterstellen? 

»Gewiss will ich einen Zauber sprechen, denn so kannst du wohl kaum das Dorf betreten!« Empörung machte sich in ihrem Gesicht breit. Er wusste, dass sie seine Illusionen hasste. Er trug stets eine auf sich, um als langweiliger Mann dargestellt zu werden. So blieb seine Tarnung erhalten und keiner ahnte, was sich wirklich hinter der Fassade befand. Die Hexe selbst war nicht so kleinlich ob ihres Aussehens. Ob sie jemanden damit verschreckte, interessierte sie einfach nicht. Doch da lag auch das Problem: Sie war zu auffällig mit ihrer gruseligen Gestalt, so dass er ihr ein wesentlich sanfteres Äußeres zauberte. Ihre giftgrünen Haare würden in den Augen der Sterblichen blond sein, ihre Gesichtszüge waren nicht annähernd so verbittert und waren beinahe schon hübsch anzusehen. Ihre Augen bekamen einen braunen Glanz, damit die Röte endlich verschwand, während ihre Wangen als auch ihre Lippen von rosiger Farbe erfüllt wurden. Das war sehr viel besser, auch wenn sie ihn anknurrte und schnaubte. Er sah ihre wahre Gestalt noch immer, wenn er hinter den Zauber sah, doch die einfachen Menschen würden nichts erahnen. 

»Wunderbar, jetzt können wir gehen«, sagte er mit einem ekelhaft fröhlichen Unterton. Ein fröhlicher Mann war er keineswegs. Wer ihn ernst erlebte, sollte lieber in Deckung gehen. Viel mehr war es die Langeweile und die Aussicht darauf, die Hexe zu ärgern, dass er Kosenamen für sie gebrauchte oder eine scheinbare Fröhlichkeit an den Tag legte. Er wusste, wie reizbar sie war und wie wenig sie dagegen tun konnte, denn sie fiel jedes Mal darauf herein und nörgelte los. Auch jetzt, als sie sich dem Dorf näherten und den Wald hinter sich ließen. 

 

»Wir werden uns im Gasthaus umhören und danach …«, begann er zu erklären. Dabei sah er in ihre Richtung und konnte sehr gut ihren Missmut erkennen. Dieses Weib war auch nie zufriedenzustellen. Nicht solange sie nicht einen Friedhof aufsuchten. Ob dafür jedoch noch Zeit blieb, konnte er noch nicht einschätzen. Das hing davon ab, was er im Gasthaus in Erfahrung brachte. Er hatte eine ungefähre Richtung, in die er wollte, aber eine kleine Information fehlte ihm noch. 

Als er wieder nach vorn auf den Weg sah, blieb er zuckend stehen. Man möchte meinen, dass solch ein mächtiger Mann, wie er einer war, keine Angst vor irgendetwas besaß und deswegen auch nicht erschrecken konnte. Tatsächlich stimmte dem aber nicht. Zwar konnte er nicht behaupten, dass er vor etwas Angst hatte, aber wenn ein solches Getier auf einmal vor einem stand, dann zuckte wohl jeder zusammen.

»Wie oft sagte ich, dass du dein Monster zurückhalten sollst, Sydenia?«, sprach der Magier ohne die Hexe anzusehen. Er wusste ganz genau, dass sich ihre Lippen geöffnet hatten und ihre Zähne gut sichtbar zu erkennen waren. Sie grinste süffisant, sich darüber freuend, dass ihr kleines Haustier dem Magier wieder einen Schrecken versetzt hatte. Nein, Angst besaß er vor dem Tierchen nicht, doch er mochte es auch nicht sonderlich. 

»Wie oft sagte ich, du sollst den Bannfluch von mir nehmen?«, war die einzige Antwort von ihr auf seine Worte. Nun blickte er sie doch von der Seite an und das sehr vorwurfsvoll. Ihre kleine Miezekatze vor ihm würde er gerne zertreten, aber er wusste, wenn er das tat, würde sie ausrasten und dann wäre es noch schwieriger, sie dazu zu bringen für ihn zu arbeiten. Bevor das Geschrei im Dorf los ging, musste auch das Kätzchen mit einer Illusion verzaubert werden, denn so sehr die Hexe das Vieh auch mochte, so schwierig würde es sein, den Menschen zu erklären, was sie da sahen. Auf den ersten Blick würden nur die wenigsten die Katze erkennen. Immerhin standen hier nur Knochen vor einem und jene ungebildeten Dörfler würden kaum das Katzenskelett erkennen. Zumindest nicht sofort, zumal es einen gehörigen Schrecken verbreiten würde. Allein die grün leuchtenden Augen in den sonst leeren Augenhöhlen … die Nekromantie brachte schon seltsame Geschöpfe zum Vorschein. Besonders wenn eine katzenliebende Hexe diese schwarze Todesmagie einsetzte. Was Hexen mit ihren Katzenviechern hatten, war ein weiteres Mysterium für den Magier. Besonders Sydenia Alyseia reichte es nicht, ein schwarzes Kätzchen als Haustier zu halten. Nein, es musste eine Skelettkatze sein, die sich so geschmeidig wie eine Lebende bewegte. 

Unheimlich war es aus zweierlei Gründen. Zum einen – und das war der Offensichtlichste – das Tierchen war tot und dennoch bewegte es sich. Elyrik Dunathon fand Untote nicht sonderlich interessant. Deswegen hatte er sich auch niemals mit der Nekromantie befasst. Nicht so tiefsinnig wie es die Todeshexe getan hatte. Dafür besaß er andere Talente und andere Zauber, die er zur Perfektion gebracht hatte. 

Der zweite Grund für seine – nennen wir es Faszination – war die Tatsache, wie sich das Tierchen benahm und bewegte. Normalerweise ging man bei einem Skelett davon aus, dass es mit den Knochen klapperte, vielleicht ein wenig taumelte, weil das eigentliche Gleichgewichtsorgan nicht mehr vorhanden war. Schließlich gab es keine Muskeln, keine Sehnen, kein Fleisch, was alles zusammenhielt. Ja, selbst keine Haut war mehr am blanken Knochen, die nur weiß schimmerten oder auch andersfarbig, je nachdem in welchem Dreck sich die Knochen suhlten. Im Falle der Skelettkatze konnte man jeden Tag spekulieren, wo sie sich herum getrieben hatte. Dabei sollte der Magier vielleicht sich einfach mal die Zeit nehmen und einen Tag lang das Getier beobachten. Es bewegte sich hervorragend, weder klapprig noch taumelnd, selbst die Sprünge bekam es perfekt hin wie ein lebendes Exemplar. Dass das möglich war, wo doch so gut wie kaum noch etwas an den Knochen dran waren, war keineswegs selbstverständlich. Nur ein besonders guter Magier oder in diesem Fall eine besonders talentierte Hexe brachte es fertig, ein Skelett auf diese Weise perfekt wiederzubeleben, sich zu bewegen, ja sogar Geräusche von sich zu geben! Man konnte von Sydenia Alyseia halten was man wollte, ihre Fähigkeiten waren außerordentlich und deswegen ertrug der Illusionist ihr Gemaule, denn schlussendlich waren es ihre herausragenden Fähigkeiten, die er benutzen wollte. Was waren da zwischendurch ein oder zwei Beleidigungen oder das Gezeter eines Weibes, dessen Mitspracherecht nicht von Belang war? 

Oh, er hätte selbst Nekromantie erlernen können, doch wozu? Seine Aufgaben bestanden in etwas anderem, denn während sie sich mit der Todesmagie befasst hatte, war es ihr nicht möglich die Dinge zu tun, die er zustande brachte. Illusionen erkannte sie, aber nicht so gut wie er, ganz davon abgesehen, dass sie nicht in der Lage war, sie zu erschaffen. Auf den ersten Blick scheint es, als könne man mit Magie alles erschaffen, alles tun, was man wollte, doch da steckte weitaus mehr dahinter. Wer etwas bewirken wollte, musste hart arbeiten, studieren und lernen wie die Magie funktionierte und selbst dabei gab es Tausende Unterschiede, je nachdem in welche Richtung man ging. Nun, sie spezialisierte sich auf Nekromantie und er … Das würde der geschätzte Leser gerne wissen, doch ob er es je erfahren würde? Illusionen waren nicht sein einziges Spezialgebiet. 

 

Das Gasthaus war endlich erreicht und dank der besagten Illusionen erregten sie kaum Aufsehen. Das einzige, was die Leute zum Starren brachte, war die Katze, aber nicht, weil sie das Skelett sahen, sondern weil sie wie ein Hund hinter der Hexe her trottete. In den Augen der Unwissenden war es eine schwarz-getigerte Mieze, die hier und da miaute, mit den Schwanz wackelte, aber sonst sich nicht viel anders benahm als andere Katzen auch. Ungewöhnlich war nur, wie Hund und Katze, die dem kleinen Monster begegneten, reiß aus nahmen. Elryik Dunathon amüsierte sich innerlich köstlich darüber und selbst die Hexe hatte ihren Spaß daran, obgleich beide nicht lachten. Sie waren gut darin die Fassade nach außen hin zu wahren und selbst das Gezeter hatte ein Ende gefunden. Sydenia Alyseia war nicht dumm. Sie wusste, dass sie nicht unter den Menschen herum spazieren konnte, wie sie wollte. Die Menschheit hasste sie. Jeder verfluchte sie, wenn er wusste, was sie war. Gäbe es Elyriks Illusion nicht, würden die Dörfler um sie herum aufschreien, mit den Fingern auf sie zeigen und im schlimmsten Fall wäre der nächste Scheiterhaufen nicht weit. Magie einzusetzen war nicht gerade einfach. Sie benötigte je nach Zauber auch seine Zeit. Einen Untoten aus der Erde zu holen, der für einen kämpfte, das war schon ein Stück Arbeit, welches nicht innerhalb von Sekunden vonstatten gehen konnte. Und so wie es der Magier hielt, tat es auch die Hexe und mied lieber den direkten Kampf. Zu mühselig. Wozu wurden sonst Heldengruppen von mutigen Nahkämpfern angeführt während sich Bogenschützen und Zauberlehrlinge hinter ihnen versteckten und nur aus der Distanz angriffen? 

Im Hintergrund hielten sie sich auch im Gasthaus, wo sie sich ein dunkles Eckchen gesucht hatten, um zu speisen und zu trinken. Es war nicht nur eine Handlung, um den Schein zu wahren, sondern diente tatsächlich auch dafür, um die Mägen zu füllen. Sie waren lange unterwegs gewesen und so finster und gemein sie auch sein mochten, so mussten auch sie sich ernähren, um nicht zu verhungern. Gut, bei der Hexe war sich der Magier nicht so sicher. Manches Mal dachte er schon, sie wollte selbst sterben, nur um zu sehen, was der Tod mit ihr anstellte oder ob sie den Tod mit ihrem eigenen Tod beeinflussen konnte. Oder so. Ein bisschen kompliziert das alles, wenn man richtig darüber nachdachte. Ob die Hexe wirklich tot sein würde oder ob sie nicht am Ende mit Gevatter Tod ein Tänzchen wagte, wenn es erst einmal so weit war? Und was dann? Würde sie zu einer Geisterhexe werden, die dann immer noch als Spukgespenst klapprige Skelette wiederbelebte? Über dieses Thema könnte man Stunden lang philosophieren, wenn man die Zeit dafür hätte. 

»Finde endlich heraus, wofür wir hier her gekommen sind, damit wir wieder verschwinden können«, fordert die Todeshexe vom Illusionist, der sich den Löffel gefüllt mit warmer Suppe, in den Mund steckte. Geduld war nie ihre Stärke gewesen und würde es auch niemals sein. In der Hinsicht waren sie so verschieden wie Tag und Nacht. Bedauerlich, aber nicht zu ändern. 

»Zuerst esse ich«, war alles, was er dazu sagte und erntete ein genervtes Stöhnen. Er ignorierte dabei auch völlig wie sie sich gereizt erhob, um den gemeinsamen Tisch zu verlassen und hinüber zur Theke des Wirts ging. Wie man es von einem Wirt erwarten würde, trug er eine Schürze, die nicht mehr ganz sauber war, besaß eine ordentliche Wampe, die er stets mit sich trug und schrubbte gemächlich einen Krug sauber, damit der nächste Bierliebhaber daraus trinken konnte. Die Hexe würde nicht dazu zählen, die allerdings dem Wirt ein charmantes Lächeln entgegen brachte. Das wunderte den Magier doch sehr, der es nicht verhindern konnte darüber eine Augenbraue zu heben. Wenn sie ihn mal so anlächeln würde … Nein, das wäre noch gruseliger als ihr süffisantes Lächeln. 

»Was kann ich bringen?«, wollte der Wirt wissen, stellte den Krug zur Seite, stützte sich mit beiden Händen auf die Theke, hinter der er stand und lächelte. Auch dieses Lächeln war gruselig, denn eine dunkle Zahnlücke kam zum Vorschein. Attraktiv war das nicht, aber was sollte die Hexe auch erwarten? Sicherlich hatte der Wirt selbst schon die ein oder andere Schlägerei mitgemacht und wenn es nur darum ging, die Unruhestifter im hohen Bogen aus der Schenke zu jagen. 

»Vielleicht können Sie mir etwas über die Gegend verraten?«, umspielten die zart gehauchten Worte der Hexe das Gehör des Wirts. Der Gruselfaktor für den Magier stieg. Es war ihm neu, dass das Hexenweib jemanden versuchte zu verführen und angesichts dessen, dass er sie sehr gut kannte, jagte es ihm einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Sie sich vorzustellen, wie sie eine Liebelei einging, das war nicht gut fürs Gemüt. Dagegen konnte nicht einmal die schlimmste Gruselgeschichte etwas dagegen halten! Einschreiten tat er trotzdem nicht und ließ sie machen. Der Wirt war immerhin angetan, so wie er das Hexenweib anstarrte, besonders ihr Dekolletee war nicht zu verachten. Raffinierte Taktik sich einfach ein bisschen weiter vorzubeugen, denn der lange Mantel, den sie sonst trug, lag über der Stuhllehne neben dem Magier, der noch am Tisch saß. 

Es war einfach solche Männer um den Finger zu wickeln, wenn die holde Weiblichkeit nur ein bisschen mit ihren Reizen spielte. Wenn der Wirt wüsste in welche Falle er sich damit begeben und wie schnell er dabei seinen Kopf verlieren konnte, er wäre wesentlich vorsichtiger. Doch was er nicht wusste, würde dem Magier weiterhelfen, denn statt das Elyrik Dunathon sich die Mühe machen musste, den Wirt um Informationen zu bestechen, schaffte es die Hexe mit ihrem Gesäusel aus ihm heraus zu kitzeln. Vielleicht sollte er öfters das Weibsbild machen lassen, dann brauchte er sich selbst nur noch zurücklehnen und das Spektakel beobachten. Ein Augenaufschlag hier, ein verführerisches Lächeln da. Es war wie in einem schnulzigen Roman. Fehlte nur noch, dass die beiden in irgendein Kämmerchen verschwanden, was allerdings die Hexe nie tun würde. Solch irdische Gelüste besaß sie nicht. Wenn sie den Wirt in eine Kammer lockte, dann eher dafür, um ihm seine Kehle durchzuschneiden und wer weiß was noch alles von ihm zu nehmen. Zum Nachteil des Wirts natürlich, aber wie gesagt, solange er nicht wusste, welches Spiel mit ihm getrieben wurde, konnte es dem Magier und der Hexe gleichermaßen egal sein. Wichtig waren nur die Informationen, die sie brauchten. Der Ort des Kristalls, den sie suchten, um einen mächtigen Zauber anzuwenden. 

 

Bevor irgendein Zauber gewirkt werden konnte, musste der Magen gefüllt werden. Die Suppe war fast aufgegessen, als sich die Tür vom Gasthaus öffnete und eine weitere Person eintrat. Für den Magier nicht wirklich interessant, trotzdem hob er den Kopf und warf einen Blick zu dem Mädchen, welche eine kleine Lieferung für den Wirt bei sich hatte. Sie trug kniehohe weiße Stiefel, ein Kleid, dessen Saum selbst nur bis zu den Knien reichte und darüber einen Mantel, der offen war. Draußen war es warm genug, da brauchte sie sich nicht so dick einzukleiden. Ihre blonden Haare fielen in leichten Wellen über ihre Schultern und ihre grünen Augen glitzerten wie Smaragde. Sie war sicher bei ihren Nachbarn beliebt, denn so höflich und freundlich sie sich gegenüber dem Wirt benahm, so war sie gewiss auch anderen gegenüber. 

»Ah, danke Alesca«, freute sich der Wirt das Päckchen entgegen nehmen zu können. Für den Magier wurde es Zeit sich zu erheben und zu gehen. Ein paar Münzen ließ er auf dem Tisch zurück, als kleine Bezahlung für das Essen, was wenig die Gaumenfreude gekitzelt hatte. Es war von Nutzen gewesen, mehr nicht. Den Mantel der Hexe vergaß er nicht, als er sich ihr an der Theke näherte, um diesen ihr zu überreichen und das Zeichen dafür zu geben, aufzubrechen. Sie hatte Informationen bekommen und diese würden sie nun nutzen. 

Gerade rutschte die Hexe vom Hocker als das blonde Mädchen zu ihr hinüber sah. Zuerst dachte Elyrik Dunathon, dass die Kleine sie ebenfalls freundlich grüßen wollte. Es fehlte nur noch die gehobene Hand dazu, doch dem war nicht so. Stattdessen folgte ein schweigsames Anstarren, in dem ihre hübschen Äuglein immer größer wurden. Die Luft stand still, die Geräusche waren verstummt und die Zeit schien stehen geblieben zu sein. In den wenigen Sekunden, die vergingen, begriff der Magier das Problem. Noch bevor das Mädchen reagieren konnte, griff er nach dem Arm der Hexe und forderte sie zum Weitergehen auf. Diese war wegen der Behandlung nicht ganz angetan davon, verstand aber des Magiers Problem, als das blonde Mädchen doch den Arm erhob, jedoch um auf sie zu deuten. Ein kleiner Schreckenslaut verließ die zarte Kehle der jungen Frau, was den Wirt verwirrte. 

»Sie hat uns erkannt«, brummte der Magier zur Hexe, mit der er die Taverne verlassen wollte, ehe die Situation eskalierte. Leider war er nicht schnell genug. Das Mädchen stellte sich als junge Magierin heraus, die bereits die Handflächen zueinander hielt, um eine Lichtkugel zu erschaffen. Was auch immer daraus für ein Zauber entstehen sollte, der Magier würde es nicht zu lassen.

»Geh!«, forderte er von der Hexe, die ihren Widerstand aufgegeben hatte und aus dem Gasthaus eilte. Dass sie dabei an Alesca vorbei musste und sie mit einer einfachen, aber kräftigen Handbewegung aus dem Weg stieß, kümmerte Sydenia nicht weiter. Alesca verlor sogar das Gleichgewicht und stolperte zurück. Die Situation schien absurd. 

Der Wirt schrie auf, ebenso wurden andere Stimmen laut, die sich beschwerten oder sich erschraken. Das Gasthaus ward bereits hinter sich gelassen, als sich das Miezekätzchen der Hexe der Flucht anschloss. 

Die junge Magierin gab nicht auf und eilte ihnen nach, nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatte. Bevor sie Probleme mit der Kleinen bekamen, entschied sich der Magier doch etwas gegen sie zu unternehmen. Er wusste, er hatte nicht viel Zeit, ehe sich die Meute der Dörfler zusammen rottete und ihnen auf die Pelle rücken würden. Die Hexe lief weiter, verfolgt von ihrer eigenen Skelettkatze, die niemals von ihrer Seite weichen würde. Ob es an dem Bindungszauber lag oder doch einer emotionalen Beziehung zuzuordnen war, darüber konnte jeder selbst spekulieren. 

Elyrik Dunathon war stehen geblieben und breitete beide Arme zu den Seiten aus. Er hasste es, solch spontane Zauber wirken zu müssen. So viel Hatz, weil keine Zeit war, störte ihn. Doch in der Not musste er von seinen Kräften Gebrauch machen und das tat er auch. Er könnte, wenn er es denn wöllte, dieses ganze Dorf mit einem Schlag vernichten, doch warum sollte er das tun? Weil größenwahnsinnige Welteroberer das immer taten? Sinnloses Morden gehörte nicht auf des Magiers Liste. Nur wer sich ihm in den Weg stellte, würde seinen Zorn zu spüren bekommen. Das Dorf hatte sich dafür qualifiziert und dennoch würde er lediglich die Erde zum Beben bringen. Mit seinem magischen Geist tastete er tief in der Erde nach den Tropfen, die er zu sich rufen wollte. Wasser war überall in der Erde verteilt, selbst in der trockenen Wüste. Manchmal musste man tief graben, um es zu finden. Hier in dieser Gegend war es einfach den natürlichen Wasserspeicher anzuzapfen und dazu zu bringen, ihm zu gehorchen. Die junge Magierin hatte sich bereits genähert und formte mit den Lippen und ihren Händen selbst einen Zauber, den sie gegen ihn einsetzen wollte. Bevor sie diesen zu Ende sprechen konnte, würde er ihr zuvor kommen. 

 

Alesca hatte die Gesichter der beiden gesehen. Sie waren grauenvoll, besonders vom Magier. Während die Hexe unheimlich wirkte, da der Tod ihr ständiger Begleiter schien, konnte sie den Magier nicht einmal richtig einschätzen. Sie wusste nur, dass sie sich vor ihm fürchtete. Dass er böse war und dunkel und seine Macht ihr gefährlich werden konnte. Sie wusste jedoch auch, wenn sie die beiden weiterziehen lassen würde, dass sie großes Unheil über dieses Land brachten. Das konnte sie nicht zulassen! 

Zugegeben, Alesca war keine besonders talentierte Magierin. Noch nie gewesen. Ihre zahlreichen Lehrer und Professoren waren regelmäßig verzweifelt gewesen über ihre Unfähigkeit. Dabei kam ihr vor allem ihre tollpatschige Ader in die Quere. Was war nicht alles schon schief gegangen, wenn sie versucht hatte einen Zauber auszusprechen. Trotz des Risikos, dass auch jetzt wieder etwas daneben gehen konnte, wollte sie den Zauber anwenden. Es musste sein, um der Dunkelheit entgegen zu wirken, die mit diesen beiden Gestalten in das Dorf gekommen war. Wenn sie es nicht schaffte sie aufzuhalten, wer sollte es dann tun? Sie war vielleicht keine besonders gute Magierin, doch sie konnte das Böse erkennen, wenn es vor ihr stand. Deswegen wusste sie, dass kein kämpfender Mann mit Schwert oder Bogen etwas gegen diese beiden ausrichten konnten.

Die Erde begann zu beben und für einen Augenblick glaubte Alesca, dass irgendetwas wieder bei ihrem Zauber schief ging. Dabei sah es doch ganz gut aus. Sie fühlte die Wärme zwischen ihren Fingern, die reine Macht in ihrer Brust, die sich sammelte, um den Zauber manifestieren zu lassen. Nichts deutete darauf hin, dass es nicht funktionieren konnte. Dass das Beben nicht durch einen Fehlschlag ausgelöst wurde, begriff sie erst, als die erste eisige Spitze aus dem Boden heraus geschossen kam. Verschreckt darüber hätte sie ihre eigene Konzentration beinahe verloren, was dazu führen würde, dass ihr eigener Zauber schief ging. Glücklicherweise konnte sie an ihrer Magie festhalten, doch immer mehr Eisspeere tauchten auf, bohrten sich aus dem Erdreich hervor, um jeden aufzuspießen, der an der falschen Stelle stand. Der Magier erschuf einen Eisspeer nach dem anderen, in dem er das Grundwasser herauf beschwor und durch einen Zauber sekundenschnell zu Eis erstarren ließ. Welch Grauen wäre es, davon getroffen zu werden! 

Immer schneller pochte Alescas Herz, besonders als sie die Schreie der Dorfbewohner hinter sich hörte gepaart mit einem quälenden Röcheln, als der erste Mann einem Eisspeer zum Opfer fiel. Beflügelt und gleichzeitig zutiefst verängstigt, dass ihr das gleiche Schicksal widerfahren könnte, beendete Alesca ihren Zauber und erschuf einen magischen Schutzkreis. Sie hatte nicht vorgehabt einen Angriffszauber zu sprechen, denn viele beherrschte sie nicht und jene, die ihr bekannt waren … Nun, wer Alesca näher kannte, wusste, wie diese nach hinten los gingen und welche Auswirkungen sie dabei schon gehabt hatten. 

Der Schutzkreis breitete sich aus, angefacht durch ihre eigene Magie, die Angst vor der Dunkelheit und vor allem durch den Willen, die Dörfler zu beschützen. Sie wollte das Bild nicht sehen, wie einer der Männer auf dem Speer steckte, blutend, der eigenen Familie entrissen. Es durfte keineswegs für die anderen so enden! 

 

Der Schutzkreis breitete sich aus. Normalerweise könnte Elyrik Dunathon diesen brechen, in dem er einen Gegenzauber wirkte. Es wäre nicht einfach und es würde ihm einige Kraft kosten, aber es wäre machbar. Dass er von seinem elementaren Zauber abließ und sich lieber zurück zog, um dem Schutzkreis zu entrinnen, hatte nur einen Grund: Licht. Für menschliche Augen nicht so deutlich sichtbar, strahlte doch dieser Zauber so viel Licht aus, dass er sich davon regelrecht geblendet fühlte. Für ein dunkles Wesen wie ihn war das zu viel des Guten. Es gab Augenblicke, da war es unnötig zu kämpfen. Diese Szene hier war unnötig. Sich in einen Kampf zu stürzen, der nicht viel einbrachte, war sinnlos, also zog sich der Magier zurück. Er hatte sich der Meute auch nur entgegen gestellt, um für Ablenkung zu sorgen, während die Hexe das Dorf verließ und den Ort aufsuchte, wo sie eigentlich hin wollten. 

Bevor der Schutzkreis sich komplett auf das ganze Dorf legte und seinen Elementzauber verpuffen ließ, wirkte der Magier einen weiteren Zauber. Um ihn herum bildeten sich leuchtende Linien auf dem Boden, die einen dunklen Nebel aufziehen ließen und ihn komplett einhüllten. Ein beeindruckender Trick für jemanden, der diesen Zauber nie gesehen hatte, für den Magier selbst nichts weiter als reine Routine, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Dieser Zauber ermöglichte ihm, sich an jenen Ort bringen zu lassen, wo auch die Hexe war. Es war gleichermaßen ein Lokalisierungs- wie Teleportationszauber, wenn man so wollte. 

 

»Ich hasse das, wenn du das machst!«, geiferte die Todeshexe den Magier an, der ein wenig seinen Mantel zurecht zupfte, nachdem er direkt vor ihren Füßen erschienen war. 

»Du hasst alles, was ich tue«, ging er auf ihre Worte ein, ohne sie dabei anzusehen. Da musste man ihm Recht geben. Es spielte keine Rolle, was er sagte oder tat, die Hexe fand immer einen Grund, ihn dafür zu hassen. Sollte sie nur. Er wusste, dass es sie nicht davon abhielt, trotzdem weiter mit ihm zusammen zu arbeiten. Solange der Bannfluch auf ihrer Stirn eingraviert war und sie sowieso keine andere Möglichkeiten besaß. 

»Was war das gerade eben gewesen? Dieses … Kind!« Sie spuckte die Worte aus, als würde sie sich ekeln. Tat sie im Grunde genommen auch, denn auch Sydenia Alyseia hatte das Licht gesehen, was von dieser kleinen Magierin ausgegangen war. Ein Grund mehr für sie gewesen die Beine in die Hand zu nehmen. 

»Ein ungewöhnliches Mädchen, nicht wahr? Aber solange sie nicht weiß, wo wir uns aufhalten, dürfte sie keine Gefahr darstellen.« Diese Worte überzeugten und beruhigten die Hexe nicht im geringsten. War das sein Ernst? Die Kleine einfach ignorieren, solange sie nicht in ihrer Nähe war? 

»Sie schien mir eine Lichtmagierin zu sein und das auch noch von der Sorte der Reinsten. Widerlich. Wenn sie wieder auftaucht … «, begann die Hexe ihre Bedenken zu äußern.

»Wird sie nicht«, unterbrach der Magier sie. »Und wenn doch, werde ich sie wie eine Made zerquetschen.«

»Oho! Große Worte für jemanden, der seine Chance eben erst dazu verspielt hat!« Die letzten beiden Worte schrie sie wütend aus. Warum hatte er das kleine Miststück nicht sofort erledigt, dann wären sie ein Problem definitiv los gewesen! 

»Im Augenblick gibt es Wichtigeres zu tun«, meinte er abwehrend und setzte sich in Bewegung. Die Todeshexe war keinesfalls damit zufrieden, musste ihm aber hinterher trotten, ob es ihr nun gefiel oder nicht. 

»Das ist der Ort, nicht wahr?« Eine rein rhetorische Frage des Magiers, der sich weiter umsah, um zu überprüfen, wo sie sich befanden. Die Hexe hatte den Ort recht schnell gefunden, an den sie mussten. Um sie herum befanden sich dicke Felswände, aus denen zahlreiche blau leuchtende Kristalle wuchsen. Sie waren eine natürliche Lichtquelle, die magische Essenzen in sich bargen. Ein perfekter Ort für Magiebegabte wie sie es waren. 

»Wenn du mich fragst, ist es hier zu … rein. Ekelhaft«, meinte die Hexe abweisend und schüttelte sich. 

»Gut, dass ich dich nicht gefragt habe«, fuhr der Magier fort und ging weiter. Sie befanden sich in einem kompletten Tunnelsystem, wobei sie sich noch am Eingang befanden. Dass die Hexe es bis hier her geschafft hatte, wunderte den Magier nicht. Zum einen lag dieser Ort nicht weit vom Dorf entfernt, zum anderen besaß auch sie ihre Tricks, die sie anwenden konnte. Außerdem hatte die Information des Wirts sehr geholfen, um diesen Ort ausfindig zu machen. 

»Es wundert mich, dass es hier keinerlei Wachen gibt«, merkte der Magier an. Die Hexe trat neben ihn.

»Gut für uns, oder nicht? Wirst du das Ritual hier durchführen?«, wollte sie von ihm wissen. Selbst die Decke der Höhlen waren mit kleinen und größeren Kristallen übersät. Da er sich ganz genau umsah, entging ihm nichts. Es war faszinierend solch einen Ort vom Nahen zu erblicken. Auf der ganzen Welt gab es vielleicht nur eine Handvoll solcher magischen Quellen, die man für sich nutzen konnte, wenn man wusste wie.

»Ja, werde ich, sobald ich die eigentliche Quelle gefunden habe«, antwortete er und ging tiefer in einen Tunnel hinein. Die Hexe folgte ihm, ebenso ihr kleines Kätzchen. Die Illusionen des Magiers waren bereits aufgehoben. An diesem Ort waren sie nicht notwendig und so konnte man das leise Tippeln von Krallen und Knochen hören, die über den Fels und Kristall wanderten. 

Immer weiter und tiefer tauchten sie in diese Welt ab, um den Mittelpunkt zu finden, von dem alles ausging. Elyrik Dunathon konnte die pulsierende Macht deutlich spüren, die von einem sehr großen Kristall ausging. Eben jener Kristall, den er seit längerer Zeit suchte und der für sein kommendes Ritual unerlässlich sein würde. Auch die Hexe spürte zunehmend diese Macht, doch ihr fiel noch etwas anderes auf. Etwas, was ihr wesentlich besser gefiel als magische Mineralien, die als Energiequelle dienen konnten. 

»Was ist? Was hast du?«, wollte der Magier von ihr wissen, als sie bei einer Abzweigung eine andere Richtung einschlug als er vorgesehen hatte.

»Wo willst du hin?«, fragte er sie, doch eine Antwort bekam er nicht. Das war seltsam. Normalerweise gab es wenigstens eine bissige Antwort. Diesmal blieb sie aus, weswegen er ihr ausnahmsweise folgte. 

 

So rein die Kristallhöhle anfänglich gewirkt hatte, so voller Blut und Tod war sie. Es gab Ecken, die sollten Sterbliche nicht betreten. Diese hier war nur eine davon. Dass die Todeshexe sich davon anlocken ließ, verwunderte den Magier nicht. Er beobachtete sie dabei, wie sie tiefer in die Höhle hinein ging, über deren Boden zahlreiche Knochen und verwesende Tote lagen. 

Wie waren sie hier her gekommen? Was war hier geschehen? Fragen, die sie nicht beantworten konnten. Die Todeshexe würde kaum die Toten darüber ausfragen. Ihr alleiniges Interesse lag viel mehr darin, dass sie die Toten zu ihren Dienern machte. 

»Hier hast du deinen Friedhof«, sagte Elyrik Dunathon, als er neben ihr stehen blieb. »Das sollte dir gefallen.« Ihm selbst stank der Ort. Er mochte nicht unbedingt den Geruch des Todes, doch für die Todeshexe war dieser Ort womöglich das Paradies auf Erden. 

Kein einziger Kristall hing an den Wänden oder wuchs aus dem Boden. Das hatte sicherlich seinen Grund, den sie nicht ergründen würden. Es gab viel zu tun, weswegen sich der Magier nicht allzu lange hier aufhalten wollte.

»Komm dann zu mir«, wies er die Hexe an, denn er wusste, sie würde vorerst hier verweilen. Er selbst ließ die Höhle hinter sich, um den Mittelpunkt seiner Begierde zu finden. Ganz nahe war er, das spürte er und folgte der Kraft, die durch diesen Ort pulsierte. Dabei musste er ein paar Stufen und Gänge nach oben nehmen. Sein Weg führte in höhere Lagen, wo sich außerhalb langsam Hügel zu Bergen formten. War der Höhleneingang noch unten im Tal, fand er einen Weg, der ihn weiter nach oben führte, wenn auch nicht zur höchsten Spitze der Bergkette. 

Es war gar nicht so mühsam, wie es schien, da der Anstieg weit weniger steil war, als man es annehmen würde. Dass er sich am Ende so weit oben befand, fiel erst auf, als er einen Ausgang fand und daraufhin in einer Art Krater mitten im Berg stand. In der Mitte dieses Kraters pulsierte die Macht, die ihn so begierig angelockt hatte: Der größte Kristall, den er bisher gesehen hatte. Er bestand aus einem Hauptteil, der fast zehn Meter hoch in den Himmel ragte, während zusätzlich kleinere Auswüchse ihn umringten und seine Gestalt imposanter erscheinen ließen als er eh schon war. Das bläuliche Licht, welches er ausstrahlte, war das gleiche wie von den kleinen Kristallen, die überall in der Höhle zu finden waren. Nur war hier wesentlich mehr magische Essenz zusammen gestaut als anderswo. Diese magische Essenzen würde er sich zunutze machen! 

Elyrik Dunathon war ein Mann von ruhiger Natur, doch in diesem Moment pochte sein finsteres Herz in der Brust einen Ticken schneller, als er sich dem Kristall näherte. Wie lange hatte er auf diesen Augenblick hingearbeitet? Lange genug, um tiefe Zufriedenheit zu spüren, dass er nun hier stand. 

Die Macht in ihm selbst geriet in Wallung und er begann sich zu konzentrieren. Er hatte nicht vor noch mehr Zeit zu vergeuden und würde Taten sprechen lassen. Er musste sich diesen Kristall einverleiben, seine Macht absorbieren und seinen Zauber wirken, um den Beginn seiner Herrschaft zu gewährleisten. Wenn er diese Macht besaß, würde nichts mehr ihn aufhalten können! 

»Dur al‘ la kar …«, begann er zu murmeln und seine Macht zu entfesseln, die sonst unter seiner Illusion verborgen lag. Aus dem sonst langweiligen, unscheinbaren Mann wurde ein Mann mit großen magischen Fähigkeiten, die für jeden Magiebegabten in unmittelbarer Nähe zu spüren war. Seine Illusion ließ er komplett fallen und enthüllte sein wahres Ich, seine wahre Macht, die er sonst gut versteckt hielt. Tiefe schwarze Augen starrten den Kristall vor sich an. Seine rechte Hand mit der fahlen Haut, streckte sich nach der magischen Essenz vor ihm aus und legten sich auf die kühle Kristallseite. Oh ja, er konnte es spüren, wie es im Inneren des Kristalls brodelte. Jetzt mehr denn je, weil der Magier da war und die Magie anzapfen wollte, die ungeschützt in greifbarer Näher für ihn war.

»Dur al kos‘tates …«, führte er seinen Zauber fort, murmelte weiter die Formel, erhöhte seine Konzentration und ballte seine Macht zusammen, um sie in diesen Zauber zu manifestieren. Keiner war da, um ihn davon abzuhalten, seine Dunkelheit in den Kristall zu flößen, während er gleichzeitig die Macht aufsaugte, die im Kristall wohnte. Von der Stelle, auf der seine Hand lag, breitete sich der Schatten aus, der das blaue Leuchten verschluckte und in tiefste Schwärze verwandelte. Immer höher wanderte dieser Schatten, bis er zu guter Letzt die Spitze erreichte und auch sie in Dunkelheit hüllte. Von dieser Spitze ging sodann eine Druckwelle aus, die sämtliche Geräusche in der Nähe verstummen ließ. Ferne Vogelrufe verstummten, Insekten ließen von ihrem Gesang ab, selbst der Wind stand still. Wolken am Himmel zogen sich zusammen und verdunkelten sich so sehr, dass sie sämtliches Licht verschluckten und dieses Land mehr und mehr in Dunkelheit hüllten. Obgleich helllichter Tag sein sollte, wurde die Sonne vertrieben, so dass sich weite Schatten über das Land legten. 

Die Menschen im Dorf sahen erschrocken zum Himmel und wussten nicht, was vor sich ging. Angst durchzog ihr Wesen, viele rannten nach Hause, um sich zu verstecken, als könnten sie so der Dunkelheit entkommen … 

 

Sie hätte es wissen müssen! Natürlich waren sie hier her gekommen, um den Kristall für sich zu beanspruchen! Warum war ihr dieser Gedanke nicht früher gekommen? Doch was könnte sie schon ausrichten? Wenn sie bedachte, was für eine miserable Magierin sie war, erschien es selbst ihr lächerlich, den Versuch starten zu wollen, diese beiden von ihren Taten abhalten zu wollen. 

»Oh Himmel, nein!«, stöhnte sie verzweifelt auf, als ihre smaragdgrünen Augen die Dunkelheit erkannten, die sich mehr und mehr über das Land legten. War sie zu spät dran?

Alesca blieb stehen, schnaufte tief, da sie den Weg bis hier her gerannt war. Sie war zu spät, nicht wahr? Die Dunkelheit nahm zu, was könnte sie noch dagegen ausrichten?

»Es spielt gar keine Rolle, ob etwas funktioniert oder nicht funktioniert. Wichtig ist nur, dass du an dich glaubst«, hörte sie die Stimme ihres alten Meisters sagen. Er hatte so viel Vertrauen in sie gesetzt, dass es ihr selbst peinlich war, wenn sie versagte. 

»Aber nichts gelingt mir. Immer geht etwas schief«, erinnerte sie sich daran, wie sie gejammert hatte. Sie sah vor ihrem geistigen Auge, wie er sanft mit den Kopf schüttelte und ein warmes Lächeln auf den Lippen trug.

»Vergiss nicht, Alesca, dass in dir große Macht pulsiert. Du kannst sie nutzen, solange dein Herz nur rein bleibt. Glaube an dich!« An sich selbst glauben? Das war schwer, wenn man nichts zustande brachte. Andererseits hatte sie den Schutzzauber vorhin richtig ausgeführt. Er hatte die Menschen vor weiterem Unheil bewahrt. Zwar war sie für Henrik zu spät gekommen, der sein Leben ausgehaucht hatte, aber alle anderen hatte sie retten können! Der Magier war sogar geflohen! Nun, das lag leider nicht daran, dass sie eine so starke Gegnerin für ihn gewesen war. Mittlerweile hatte Alesca begriffen, dass das nur eine Ablenkung gewesen war, denn die Hexe war längst über alle Berge geflohen. 

»Oh Meister, ich hoffe, ihr behaltet Recht«, murmelte sie vor sich hin. Ihr Meister war bereits seit Jahren tot, was sie sehr bedauerte, aber er hatte stets an sie geglaubt, trotz aller Fehlschläge, die sie zu verzeichnen hatte. Alesca schüttelte ihren Kopf, dass ihre blonden Locken um sie herum flogen.

»Nein, jetzt darf ich nicht aufgeben!« Sie musste den Magier und die Hexe vertreiben, ehe es zu spät war! Die Frage war allerdings, ob es nicht das schon war … zu spät. Die Dunkelheit erschreckte auch sie, doch wenn sie nichts dagegen unternahm, wer sollte es sonst tun? Sie wusste, dass Krieger nichts gegen diese beiden ausrichten konnten. Zumal gerade keine Krieger zur Verfügung standen. Viele, viele Jahre war dieses Land friedvoll gewesen. Es hatte vielleicht mal einen Schafräuber gegeben, aber das war schon das Schlimmste aller Verbrechen gewesen. Wurden sie nun bestraft, dass das Dörfchen sich nicht groß um einen stärkeren Schutz bemüht hatte? Sie hatten sich zu sehr darauf verlassen, dass der magische Kristall dieses Land schützte. 

 

Ihre Seite stach schon ganz fürchterlich, als sie endlich den Krater des Kristalls erreichte, doch ihr Herz setzte für einen Moment aus. Mit geweiteten Augen musste sie dabei zusehen, wie die Spitze des Kristalls in Schwärze gehüllt wurde und somit der ganze Kristall im Schatten verschluckt wurde. Die magischen Essenzen, die er in sich trug, wurden dadurch verdorben und lebensfeindlich.

»Nein«, hauchte sie verzweifelt und taumelte ein paar Schritte weiter. Wie hatte es nur dazu kommen können? 

Der Magier, der beim Kristall stand, bemerkte sie und drehte sich zu ihr um. Das Bild, welches sich ihr bot, erschreckte sie, dass Alesca lieber wieder zwei Schritte zurückwich. Seine Augen waren schwarz wie die Nacht und beinhalteten kein Licht. Unter seinem Mantel waberten unheimliche schwarze Wolken oder Rauch. Wie auch immer man es interpretieren wollte, es sah definitiv nicht freundlich aus. Die Schatten bewegten sich um ihn herum und bedrohten jedes Licht, welches sich in seine Nähe wagte. 

Alesca schluckte schwer und würde am liebsten weglaufen. Aber was dann? Wer sollte den schwarzen Magier davon abbringen, die Welt in ein finsteres Chaos zu stürzen?

»I-ihr«, begann sie, doch leider zitterte ihre Stimme zu sehr, als das sie bedrohlich und eindrucksvoll klingen würde. »Geht v-vom Kristall fort! V-verschwindet aus d-diesem Land!«, forderte Alesca, all ihren Mut zusammen klaubend, den sie finden konnte. Es war nicht viel, aber es reichte aus, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. 

»Wer bist du, dass du solch Forderungen stellst? Glaubst du wirklich, du könntest mich dazu bringen, zu gehen? Gar mich aufhalten?« Seine Antwort war furchteinflößend. Weniger wegen der Worte selbst, als viel mehr wegen seiner unheimlichen Stimme. Im Gasthaus war sie nicht annähernd so tief und bedrohlich gewesen wie jetzt. Sie musste all ihre Sinne beisammen halten, um nicht ihrem Fluchtinstinkt zu folgen. Es war schwer. Sehr, sehr schwer. 

»I-ich sag’s nur noch e-einmal. Geht fort von hier!« Als Antwort erhielt sie ein schallendes Gelächter. Niemals würde er sich ihr beugen. Niemals würde er sich von ihr einschüchtern und vertreiben lassen. Diese kleine Lichtmagierin hatte nichts in der Hand, um gegen ihn vorzugehen. Mit einer scheinbaren leichtfertigen Handbewegung fegte er sie einfach weg und ließ sie gegen eine nahe Felswand prallen. Der unsichtbare Schlag war für Alesca unvorhersehbar gewesen und presste all ihre Luft aus den Lungen, als sie gegen die Wand donnerte. Sie konnte froh sein, wenn dabei ihre Knochen nicht brachen. Leicht betäubt fiel sie zu Boden, sackte zusammen und versuchte nicht vollends das Bewusstsein zu verlieren. Der Magier kümmerte sich schon nicht mehr, als wäre sie nur eine lästige Fliege gewesen, die er nur hatte platt drücken müssen. Weit davon entfernt, war sie wohl nicht. Wie sollte sie sich noch aufrappeln? 

 

Die Dunkelheit verschluckte mehr und mehr das Licht am Himmelszelt, aber nicht nur dort. Während der Magier sich nicht aufhalten ließ und sich wieder seinem Kristall widmete – die kleine Lichtmagierin ignorierend – bebte tiefer im Berginneren eine weitere dunkle Macht, die sich erhob. Es wurde Zeit, dass sich die Toten aus dem Schatten lösten und ihr dienten. Warum auch immer sie hier an diesem Ort gestorben waren, so würden sie nicht länger mehr ruhen. 

Sydenia Alyseia wurde nicht grundlos als die Todeshexe betitelt. Sie kanalisierte ihre magischen Kräfte in einem Ritus, den sie vorbereitet hatte, nachdem der Magier vorhin sie allein zurück gelassen hatte. Er wusste, was sie vorhatte. Schließlich wollte er, dass die Toten für sie kämpften. 

»Kommt meine Kinder, kommt … «, murmelte sie verschwörerisch, während am Boden sich die Skelette nach und nach erhoben. Manch Toter war noch nicht einmal richtig verwest, so dass letzte Fleischreste teilweise an den Knochen herab hingen. Jedes Gerippe, welches sich erhob, besaß die dunklen Augenhöhlen, in denen ein giftgrünes Licht auf glimmte. Es war die magische Essenz, die sie zurück in die Welt der Lebenden holte und worüber die Todeshexe die Macht besaß. Mit jedem weiteren Spruch, mit jedem weiteren Vers, den sie formulierte, erweckte sie einen weiteren Untoten. Schon bald war die gesamte Höhle von den Geräuschen des Klappern und Schleifens der blanken Knochen eingehüllt. Alte Stoffe schliffen über kalten Fels hinweg. Kleine Steine lösten sich und kullerten zwischen den Gebeinen der Toten, die leise Stöhngeräusche von sich gaben. Mit jedem weiteren Schritt, den sie taten, wurden ihre Bewegungen flüssiger und sie wirkten nicht mehr ganz so behäbig. 

Selbstzufrieden sah die Hexe über ihre Untertanen hinweg, stolz über ihr Werk. Für den Anfang würde das reichen, aber es würde andere Friedhöfe geben, die sie nutzen konnte, um ihre Armee zu vergrößern. Das war hier nur der Anfang. Sobald der Magier ihr einen Teil der Kristallmacht überließ, wäre sie in der Lage Hunderte, ja wenn nicht sogar Tausende Untote heraufzubeschwören! Jetzt wurde es Zeit zu ihm zurückzukehren, denn sie spürte ganz deutlich, dass er die Macht des Kristalls bereits korrumpiert hatte. Sie wollte etwas vom Kuchenstück abhaben und folgte seiner Macht, die ihr deutlich den Weg durch das Berglabyrinth zeigte. 

Die Kristalle, die hier unter Tage noch geleuchtet hatten, verloren nach und nach ihr Licht. Eine weitere Auswirkung der Dunkelheit, die sich alles aneignete, was sich ihr in den Weg stellte. Schon bald würde die ganze Welt in Finsternis versunken sein und keiner würde es je rückgängig machen können. Was das anging, konnte sich selbst die Hexe ein Lächeln nicht verkneifen. Ihr war solch eine Welt sehr Willkommen. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie dem Magier folgte. Natürlich gab es den Bannfluch, der sie an ihn kettete, aber es gäbe gewiss eine Lösung für dieses Problem. Sie war ihm gefolgt, um zu sehen, ob er Wort hielt. Ob er das einhalten konnte, was er ihr am Anfang versprochen hatte. Jetzt war der Moment gekommen, wo er endlich alles einlösen konnte, ja musste! 

 

Es war völlig egal, ob sie unter der Erde oder sich außerhalb dessen befand. Dunkel war es überall. Das konnte die Todeshexe sehr gut feststellen, als sie endlich den Außenbereich erreichte, wo der Kristall verdorben wurde und der Magier sich dessen Macht bediente. Mit erhobenem Hauptes schritt die Hexe weiter, während sich ihre untoten Diener langsam auf dem Plateau verteilten und sich reihum aufstellten. Sie waren willenlose Marionetten, die allein ihr dienten. Selbst wenn der Magier sie befehligen wollte, würde das alles über Sydenia laufen müssen. 

»Wie ich sehe, hast du deine Spielzeuge mitgebracht«, hallte die Stimme des Magiers von den Felswänden wider. Sydenia Alyseia blieb unerschrocken stehen, der Rücken gerade durchgestreckt, die Schultern nach hinten gestellt und stolz wie eh und je.

»Natürlich«, antwortete sie ihm selbstgefällig und musterte den Kristall vom Nahen. Dabei ignorierte sie die Schatten, die sich von der Gestalt des Magiers schlängelten, als wären sie gierige Tentakel, die nach allem greifen wollten, was sich in ihre Nähe wagte. 

»Es hat begonnen«, sagte er und drehte sich nun doch zu ihr um. Auch seine dunklen Augen schüchterten sie nicht ein. Sie war unerschrocken – vor allem und jedem. Es gab nichts, vor dem sie sich fürchtete. Ihre Angst hatte sie bereits als kleines Mädchen abgelegt. 

»Gut, dann wird es Zeit deinen Teil der Abmachung einzuhalten«, forderte sie ihn auf. Sie gierte nach der Macht des Kristalls, wollte ebenfalls etwas abhaben, wollte damit noch mehr den Tod herausfordern. Womöglich wäre sie dann sogar fähig den Bannfluch zu brechen. Sie brauchte dafür nur eine günstige Gelegenheit. 

Das leise Lachen, welches der Magier auf einmal von sich gab, überraschte sie. War er verrückt geworden? Wundern würde sie es nicht. Schon zuvor hatte sie ihn als irrwitzigen Mann angesehen. Wer wusste schon, was die Macht des Kristalls mit seinem Verstand weiter anstellte? 

»Glaubst du denn wirklich, dass ich zulasse, dass du von dieser Macht etwas abbekommst?« Mit jedem Wort, das er aussprach, wurden ihre roten Augen größer und weiter. Was sagte er da? 

»Was hat das zu bedeuten?«, wollte sie von ihm wissen. In ihrem Inneren begann es zu brodeln. Wollte er sie etwa hintergehen? Ihr den Machtanspruch verwehren? 

»Unsere Abmachung galt nur, wenn du dich mir freiwillig anschließt. Und? Hast du das getan?«, fragte er sie süffisant. Die Hexe konnte gar nicht verstehen, was er da sagte. Was sollte das heißen? 

»Was meinst du? Bin ich denn nicht hier? Ich bin dir bis hier her gefolgt!« Da Sydenia Alyseia schon immer eine temperamentvolle Frau war, explodierte sie regelrecht und brüllte den Magier an. Wie konnte er es auch wagen, ihr das zu verwehren, was er ihr versprochen hatte? 

»Bist du das?«, stellte er eine Gegenfrage so ruhig, dass sie ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre. Sie hasste seine Selbstgefälligkeit, sein arrogantes Lächeln, was sich auf seinen Lippen abzeichnete. 

»Du bist nur aus einem Grund hier!«, donnerte er mit seiner tiefen Stimme dann auf einmal los, streckte den Arm aus und zeigte direkt auf ihre Stirn und damit auf den Bannfluch. 

»Du bist hier, weil ich es so wollte. Du bist mein Spielzeug! Daran wird sich nichts ändern«, offenbarte er ihr.

Schock, Wut und grenzenloser Hass für den Magier sammelten sich in Sydenias Innerem. Er wagte es tatsächlich! Wagte es, sie zu verhöhnen. Nein, noch schlimmer, er wagte es, sie als sein Spielzeug zu deklarieren!

»Ich bin niemandes Spielzeug!«, schrie sie und sammelte all ihre Macht, die sie aufbringen konnte. 

 

Die Explosion, die auf dem Plateau ausgelöst wurde, als zwei Mächte aufeinander trafen, rissen all die Untoten von ihren Füßen und ließen sie wie Dominosteine zu Boden prallen. Hier und da hörte man das tiefe Grollen und Stöhnen der Untoten, die daraufhin versuchten sich erneut aufzurichten. Die Druckwelle, die sie zu Boden gerissen hatte, war stark gewesen, hatte aber den Zauber nicht gebrochen, mit dem die Toten zurückgeholt worden waren. 

Mit einem leisen Stöhnen versuchte auch Alesca sich aufzurichten. Sie lag auf dem Bauch und drückte sich mit ihren Armen wenigstens so weit nach oben, dass sie über das Gelände sehen konnte. Der Anblick der Untoten, aber auch vom Magier und der Hexe, erfüllten ihr Herz mit Angst. Sie wollte am liebsten wegrennen und alles hinter sich lassen. Der Kristall war so tiefschwarz, dass er verloren schien. Wie sollte man ihn jetzt noch reinigen können?

Glaube an dich, kleine Alesca! 

Die Stimme ihres Meisters hallte in ihrem Kopf wider. Es musste eine Erinnerung sein, schließlich war er tot und konnte nicht mehr zu ihr sprechen. 

»Das hier hat nichts mehr mit Glauben zu tun«, murmelte sie leise vor sich hin. Es war eine Antwort auf die Worte in ihrem Kopf, obwohl es natürlich lächerlich war mit sich selbst zu sprechen. Vielleicht drohte nun ihr auch der Wahnsinn? 

Glaube an dich, Alesca, und du wirst Berge versetzen, Meere füllen und Winde für dich sprechen lassen können. 

Es klang wie ein Hohn in ihren Ohren. Sie hätte am liebsten gelacht. Warum jetzt dachte sie an die Worte ihres alten Meisters, der noch eher in der Lage gewesen wäre, diese beiden Irren aufzuhalten? Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln ob ihrer Unfähigkeit. Sie hatte keine Chance. Sie würde es nicht schaffen, irgendetwas auszurichten. Diese entsetzliche Dunkelheit würde sie genauso verschlingen wie das Licht um sie herum. 

Hast du etwa vergessen wer du bist, kleine Alesca? 

Wieder hörte sie die Stimme ihres Meisters in ihrem Kopf sprechen.

»Wer bin ich schon? Nur ein kleines Mädchen, das versucht die Magie zu beherrschen. Aber seht, ich bin zu nichts nütze. Ich kann nichts.« Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Wie jämmerlich sie doch war. Wie viel Angst in ihrem Herzen war. Da brauchte sie nur wieder den Blick auf die Untoten werfen und ihr Körper zitterte vor Schrecken. 

Es ging nie darum, was du kannst, sondern wer du bist, Alesca! Vergiss das niemals. Du bist das Licht! 

Ein Schluchzen drängte sich aus ihrer Kehle und sie ließ den Kopf hängen, starrte auf den kalten, nackten Stein unter sich. Ihr Meister hatte immer zu ihr gesprochen, sie immer motiviert und aufgebaut, wenn wieder einmal was schief gelaufen war. Und es war verdammt oft was schief gegangen. Einmal hätte sie fast das Labor mit einem Experiment in die Luft gehen lassen, ein anderes Mal fast die Bibliothek abgefackelt. Nein, sie war zu nichts nütze und würde es auch nie sein. Die meisten Zauber, die sie versuchte, gingen schief. 

Du bist das Licht!

Noch einmal hallten die Worte ihres Meisters in ihrem Kopf, diesmal strenger, unerbittlicher. Er duldete nur selten Widerworte. Seine Geduld war unendlich gewesen, aber genauso auch seine Strenge. Er war gut zu ihr gewesen, hat ihr aber auch nicht alles durchgehen lassen. Wenn sie hingefallen war, dann hatte sie aufstehen und noch einmal von vorn anfangen müssen. Wenn ein Zauber schief ging, dann wollte er, dass sie ihn wiederholte. So war das gewesen. Immer und immer wieder … 

Sie schniefte und versuchte sich aufzurappeln, schaffte es aber nur sich aufzusetzen. Ihr Körper tat weh. Der Aufprall von vorhin hatte ihr kurzzeitig das Bewusstsein genommen. Einige blaue Flecke dürfte sie sich ebenfalls eingehandelt haben sowie eine geprellte Rippe, die ihr am meisten zu schaffen machte. 

»Ich bin das Licht? Ich hab nie verstanden, was das zu bedeuten hatte«, führte sie weiter Selbstgespräche. Was auch immer ihr Meister damit hatte sagen wollen, irgendeine Bedeutung musste es doch haben! Sie selbst nannte sich Lichtmagierin, weil sie ihre Fähigkeiten meistens zum Schutze der Menschheit einsetzte. Entweder Schutzzauber wie sie vor einigen Stunden angewandt hatte oder Heilzauber, um Kranken und Verletzten helfen zu können. Das war die Magie des Lichts. Keine Angriffszauber. Keine Magie, die andere verletzen sollte. 

Aber hier ging es nicht bloß um einfache Menschen. Hier ging es um größenwahnsinnige Magier und Hexen, die die Welt in eine so schreckliche Finsternis tauchen wollten, dass sie damit wohl auch sämtliches Leben auslöschen würden. Schon jetzt spürte Alesca wie stark die Dunkelheit auf ihr Gemüt drückte und ihr das Leben schwer machen wollte. Sie musste dagegen ankämpfen! Selbst wenn sie nicht viel ausrichten konnte, sie würde es wenigstens versuchen. Wenn sie das nicht tat, würde sie ihrem Meister im Jenseits doch nicht unter die Augen treten können. Untergehen würde sie so oder so, aber dann wenigstens kämpfend. 

Langsam erhob sie sich wieder auf ihre Füße und sammelte alles an Kraft, was sie aufbieten konnte. Es war schwer, aber wenn sie etwas ausrichten wollte, musste sie an sich glauben. Ihr Meister hatte Recht. Wenn sie schon vorher aufgab, würde sie nichts schaffen. 

Ein schrecklich lauter und verzerrter Schrei ging ihr durch Mark und Bein. Nicht sie war es, die schrie, sondern die Hexe. Als Alesca soweit wieder einen festen Stand besaß, sah sie sich um, sah zum Kristall und erkannte den Magier und die Hexe, die sich keinen wirklich langen Kampf geliefert hatten. Die Todeshexe hatte den Schwarzmagier unterschätzt. Nun kniete sie vor ihm und brüllte wie am Spieß, als er mit seinem Zeigefinger auf ihre Stirn deutete. 

Alesca war nicht sicher, was er da tat, aber sie konnte sich einiges zusammen reimen. Der Bannfluch, den sie bereits im Gasthaus auf ihrer Stirn gesehen hatte, war ihr nicht fremd. Zwar hatte sie solch ein Zeichen noch nie persönlich zu Gesicht bekommen, aber in den alten Büchern, in denen sie früher immer gelesen hatte, war auch das Thema über Bannflüche behandelt worden. Man setzte sie nicht selten dafür ein, um anderen ihren Willen aufzudrängen. Die Vermutung lag nahe, dass die Hexe unter dem Bann des Magiers stand. Wohl mit einer gewissen Freiheit, die ihr nun genommen wurde. Hatte sie im Gasthaus noch willensstark und beinahe ungebunden gewirkt, so sorgte der Magier jetzt dafür, dass sie diese Freiheit verlor. Seine Macht drang in ihren Schädel ein und zwang sie dazu, ihm vollends als Marionette zu dienen. Keinen freien Willen sollte sie mehr haben, keine eigenen Entscheidungen mehr treffen. Sie sollte nur noch für ihn da sein, ihr dummes Geplapper sein lassen und dafür sorgen, dass die Untoten ihm gehorchten! Lang genug hatte sie seine Geduld auf die Probe gestellt und jetzt, da der Kristall in seiner Hand war, brauchte er ihr Geschwätz nicht mehr. Jetzt wollte er nur noch ihre Fähigkeiten für sich nutzen, bis auch das irgendwann ein Ende hatte und sie wertlos für ihn wurde. 

Den eigenen Willen jemanden anderen aufzuzwingen konnte sehr schmerzhaft sein. Alesca sah es mit eigenen Augen. Blutige Schlieren zogen sich über das Gesicht der Hexe, als aus ihren Augenwinkeln ihr eigenes Blut hervor quoll. Es war ein Nebeneffekt des Zaubers, den der Magier einsetzte, um sie vollkommen zu kontrollieren. Sie wehrte sich dabei heftig, doch ihre Macht war nicht stark genug, um die seinige aufzuhalten. 

Wenn die Hexe es nicht schaffte ihm zu widerstehen, wie sollte es dann Alesca bewerkstelligen? Erneut wurde sie von einer Flut der Angst erfüllt. Ihre Beine fühlten sich weich an und drohten unter ihr einfach zusammenzubrechen, aber sie merkte auch, dass ein Weglaufen kaum möglich war. Nicht nur, weil sich ihre Beine schwach anfühlten, sondern weil sie genau wusste, dass es keinen Ort geben würde, wohin sie fliehen konnte. Früher oder später würde er sie bekommen und sie vermutete ganz stark Ersteres. 

»Glaub an dich, Alsca. Du bist das Licht!« Leise murmelte sie die Wort vor sich hin, versuchte sich selbst Mut zuzusprechen. Sie musste etwas tun. Sie würde etwas tun!

 

Es war nicht das jämmerliche Schreien der Hexe, dass ihn aufsehen ließ. Es war der Schrei einer selbstbewussten und sehr entschlossenen Magierin, die nicht mit ansehen wollte, wie ihre Welt unterging. Elyrik Dunathon beobachtete mit seinen schwarzen Augen die blonde junge Frau, die vorhin schon hätte erledigt sein sollen. Jetzt hatte sie sich wieder aufgerafft und überraschte ihn gegen seinen Willen. Hatte er es vorhin wirklich übersehen? Er war ein Meister der Illusionen, wie also hatte ihm entgehen können, dass eine solche Macht in ihr steckte?

Alesca rannte auf den Magier zu, fest entschlossen ihn aufzuhalten. In ihrem Inneren sammelte sie nicht nur all ihre Kräfte zusammen, sie fühlte dabei auch die Wärme und das Licht, welches sie durchflutete.

Du bist das Licht, Alesca! 

War es das gewesen, was ihr Meister immer hatte sagen wollen? War es tatsächlich wörtlich gemeint? Ihr eiserner Entschluss gegen die Dunkelheit vorzugehen, entfachte das Licht in ihrem Inneren. Das Licht, welches sich gegen die Finsternis auflehnte und sie zurückdrängen würde.

»Nein!«, fluchte der Magier, ließ von der Hexe ab und stellte sich der Lichtmagierin entgegen. Er sammelte selbst seine Kräfte, um sie abwehrend gegen Alesca zu schleudern, auf dass sie nicht näher kam. 

Zwei gegensätzliche Kräfte prallten aufeinander, als eine scheinbar kleine Magierin gegen einen großen, erfahrenen Magier vorging. Licht und Dunkelheit waren jeweils ein Teil des Ganzen, doch es musste immer eine Balance zwischen diesen beiden Elementen herrschen, sonst geriet das Universum aus dem Gleichgewicht. Um diese Art von Gleichgewicht wiederherzustellen, musste Alesca den Magier besiegen. Nicht jedoch mit Gewalt. Sie wusste ganz genau, dass sie nicht stark genug sein würde. Sie besaß keine Kräfte, die ihn unterdrücken konnten, ihn verletzen, ihn dorthin zurückschicken konnten, wo er herkam. Aber sie besaß eine andere Kraft, eine, bei der sie keine Gewalt brauchte. 

Es war das reinste Licht, was je existiert hatte, das begriff auch endlich sie selbst. Die Reinheit, die von ihr ausging und die sie dem Magier entgegenhielt, vertrieb die Dunkelheit und ließ ihn in die Knie gehen. Sie tat nicht viel, als sie ihn erreicht hatte und ihre Hand auf seinen Kopf legte wie eine Mutter, die ihr Kind trösten wollte. Sie würde ihm den richtigen Weg zeigen, fernab von der Dunkelheit, vom Tod und der sinnlosen Gewalt gegenüber anderen. Sie würde ihm zeigen, was er besser machen konnte … 

 

Wie hatte es dazu nur kommen können? Wie hatte es sein können, dass er so weit vom Weg abgedriftet war? Er war nichts anderes gewesen, als ein Kind einer kleinen bürgerlichen Familie. Weder besonders arm, noch besonders reich. Sogar die Schule hatte er als kleiner Hosenscheißer besuchen dürfen und das einfache Rechnen, Lesen und Schreiben erlernt. Mehr als so manches Straßenkind, welches täglich um sein Überleben kämpfen musste. 

Die Stadt, in der er aufgewachsen war, war groß gewesen. Kein kleines Individuum fiel auf, ganz besonders dann nicht, wenn es nichts vorzuweisen hatte. Eine graue Masse verfolgte jedes Mal dem gleichen Tagesablauf, ging arbeiten, zur Schule, auf den Markt, um Waren anzubieten … Menschen waren so simpel gestrickt. Wenn sie eine Nische für sich gefunden haben, blieben sie dort ihr Leben lang und suchten sich selten etwas Neues. Hauptsache es war bequem und mit wenig Unannehmlichkeiten gespickt. 

Elyrik Dunathon war nicht anders als die anderen dummen Menschen gewesen, die wie Zombies ihrem vorgegeben Weg verfolgten. Tagein, tagaus immer das gleiche Schema abarbeitend, bis er an einem sehr verregneten Vormittag an der Akademie der Zauberwissenschaften vorbei gekommen war. Er hatte sich dafür schon immer interessiert, sich aber nie die Hoffnungen gemacht, eines Tages dort aufgenommen zu werden, um die geheimnisvolle magische Welt zu ergründen, zu lernen und später deren Zauber auch anzuwenden. 

Erst mit der Kettenreaktion an Ereignissen war es ihm möglich gewesen sich die magischen Kräfte anzueignen, nach denen sein Inneres stets gestrebt hatte. Da war der Betrug gegenüber dem bereits angenommen Zauberlehrling gewesen, dessen Platz er am Ende eingenommen hatte. Da waren die verbotene Abteilungen der Bibliothek, der magischen Essenzen und Ingredienzien gewesen, an denen er sich vergriffen hatte und natürlich die dunkelsten aller Zauber, die er nach und nach für sich entdeckt hatte. Ein Grund mehr ihn von der Akademie zu bannen, doch die damaligen Professoren hatten nicht so weit gedacht, was er mit all dem gesammelten Wissen anstellen konnte. Es war noch lange nicht genug gewesen, doch je mehr Elyrik Dunathon forschte und je tiefer er in die Geheimnisse der schwarzen Magie eintauchte, desto verdorbener und dunkler wurde auch seine Seele. 

Bis davon irgendwann nichts mehr übrig blieb als ein Schatten, der sein ganzes Sein eingenommen hatte. 

Sich daran zu erinnern, wie es einst gewesen war, wenn man sich an den Kleinigkeiten des Lebens erfreuen konnte, am zarten Vogelgezwitscher und dem lecker gekochten Essen … Es war lange her gewesen. Und es war so … 

So unbrauchbar. 

 

Helles Licht hatte Alesca und den Schwarzmagier eingehüllt. Der verdorbene Kristall streckte sich immer noch als schwarze Masse in den Himmel empor. Er würde gereinigt werden müssen, doch zuallererst musste der Magier zurück auf den richtigen Weg gebracht werden. Er musste erkennen, dass es auch anders ging. Er würde seine Fehler aus der Vergangenheit nicht rückgängig machen können. Würde die Toten von damals nicht wieder zurückkehren lassen können. Wie den alten Professor, den er umbrachte, als dieser versuchte dem jüngeren Magier begreiflich zu machen, auf was für eine finstere Magie er sich einlassen würde, wenn er nicht schleunigst umkehrte. 

Oder die eigene Familie, die Elyrik Dunathon auf dem Gewissen hatte, als sie ihm überdrüssig wurde. 

Das waren Fehler, die zu seinem Leben dazu gehörten, aber er konnte es zukünftig besser machen. Er besaß so viel Macht, die er für etwas Größeres einsetzen konnte. Nicht um die Welt in tiefster Dunkelheit versinken zu lassen, sondern um anderen zu helfen. Leid zu bekämpfen, Lebensumstände zu verbessern … Es gab immer einen besseren Weg. Er musste nur endlich begreifen, dass der Weg, den er eingeschlagen hatte, nur voller Zerstörung und Hass sein würde. 

»Wie überaus … «, hörte die Lichtmagierin ihn murmeln, sah in seine menschlichen Augen, die zurückgekehrt waren. Hatte er es endlich geschafft seine Dunkelheit selbst zu besiegen? 

»Freundlich!« Mit diesem einzigen Wort spürte Alesca einen tiefen Schmerz durch sich hindurch fahren. Sie war nicht mehr in der Lage zu begreifen, was passiert war. Alles, was sie spürte war dieser Schmerz. Brennender, heißer Schmerz, der sie lähmte und ihr Licht erlöschen ließ. Vom Schock geweitete Augen sahen den Magier an, der sich in einer raschen Bewegung wieder erhoben hatte und ganz langsam seinen Arm aus ihrem Körper heraus zog. 

»Hast du denn wirklich geglaubt, dein kleines Licht würde ausreichen?« Er verhöhnte sie, spottet über sie und hielt ihre letzten Herzschläge in seiner Hand. Das Pulsieren ließ allerdings schnell nach. Getrennt vom eigenen Körper war das kleine Herz nicht mehr in der Lage weiter zu schlagen. Alles, was Alesca zum Schluss sehen konnte, waren die schwarzen Augen des Magiers, sein siegreiches Lächeln und ihr eigenes Herz in seiner Hand. Dann wurde ihre Welt dunkel und sie fiel zu Boden, prallte hart auf, doch spüren tat sie nichts mehr. 

 

Einen kurzen Moment überlegte Elyrik Dunathon, ob er das Herz für einen Zauber gebrauchen könnte, entschied sich jedoch dagegen und ließ es achtlos zu Boden fallen. Dann drehte er sich um und betrachtete den Kristall vor sich. An seiner Schönheit kam nichts heran. Er war noch dunkler als die Nacht je hätte sein können. Kein Licht würde ihn mehr einnehmen können. Falls die kleine Lichtmagierin je geglaubt hatte, dass man ihm auf den Pfad der Tugend zurückbringen konnte, indem man ihm seine Fehler vor Augen führte und an sein Gewissen appellierte, so hatte sie sich geirrt. Jetzt hatte sie dafür zahlen müssen. 

Langsam drehte er seinen Kopf nach rechts und sah die Todeshexe, die stillschweigend dastand und auf seine Befehle wartete. Sie war nichts Besseres als die Untoten, die um sie herum standen, leise vor sich hin stöhnten und ebenso auf Befehle warteten. Der einzige Unterschied, der zwischen den Untoten und der Todeshexe bestand, war ihre noch vorhandene Macht. Sie stand zwar unter der Kontrolle des Schwarzmagiers, konnte aber immer noch einige Zauber anwenden.

»Geh und erschaffe mir eine Armee der Toten«, befahl er ihr. Kein Gezeter der Hexe, kein Widerstand kam von ihr. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da hob sie ihren linken Arm und deutete auf die tote Lichtmagierin. Sie brauchte keine Worte aussprechen, es reichte lediglich der Einsatz ihrer eigenen Kräfte, verstärkt durch Elyrik Dunathons Macht, um den leblosen Körper wieder Bewegungen abzuverlangen. Nach kurzer Zeit erhob sich Alesca erneut. Diesmal mit leeren Augen, fehlendem Herzschlag und verlorener Seele. Sie würde nichts anderes sein, als eine Marionette in der Armee des Magiers und sie setzte sich genauso in Bewegung wie alle anderen Untoten, als die Todeshexe voranging, um den ihr gegebenen Befehl auszuführen.

 

Dunkelheit und Tod würde über diese Welt kommen.