Verborgene Tränen

Genre: Fanfiktion

 

Vorwort

 

Dies ist eine Kurzgeschichte zu »Feurige Leidenschaft«. Es ist nicht zwingend notwendig die Geschichte zu kennen, um Feurige Gefühle lesen zu können. Sie steht selbstständig und in sich abgeschlossen.  In erster Linie wurde aber diese Geschichte für alle Leser und Fans geschrieben, die »Feurige Leidenschaft« mögen, insbesondere den darin vorkommenden Charakter Soul.  

 

 

Das Kopieren bzw. Entwenden der Bilder wie auch Texte sind ohne ausdrückliche Erlaubnis von Alexia Drael nicht erlaubt.

 


Verborgene Tränen

  

Hektisches Treiben herrschte an diesem regnerischen Morgen. Blaue Augen starrten die graue Wolkendecke durch ein Fenster an. Viel Begeisterung konnte weder er noch seine Mutter für dieses Wetter aufbringen. Es war ein trüber Tag und das nicht nur wegen des schlechten Wetters. 

»Nun beeil‘ dich doch endlich mal!«, hörte er seine Mutter in der unteren Etage gackern, während sein Vater ein genervtes »Ja, ja, ja!« von sich gab. So waren sie schon immer gewesen. Gestresst, streitend, mit ihrem eigenen Leben unzufrieden, aber das würden sie niemals nach außen hin zugeben. Schritte erklangen, als seine Mutter begann die Treppe nach oben zu stampfen. Der Regen von draußen war nicht laut genug, um sie zu übertönen. Trotz allem dass er ahnte, was gleich kommen würde, rührte er sich nicht. Er wartete, bis sie seine Zimmertür aufriss und auffordernd zu ihm sah. Ihre braune Lockenmähne hing ihr ins Gesicht und ihre grünen Augen stachen förmlich hervor.

»Wo bleibst du denn, Soul? Wir müssen los! Hopp, hopp, hopp!« Sie klatschte zusätzlich in die Hände, was ihre Aufregung nur noch mehr unterstrich und ihre zahlreichen Armreife klimpern ließ. Davon ließ er sich nicht anstecken. Statt zu jubeln, dass es endlich los ging, kletterte er langsam die Fensterbank runter, ging zu seinem Bett, wo sein Rucksack stand, um ihn aufzusetzen und folgte danach erst seiner Mutter nach unten. Sie hatte es eilig und das, wo sie im Prinzip gar nicht von der Zeit so sehr abhängig waren. Weder mussten sie ein Flugzeug pünktlich erreichen, noch irgendein anderes öffentliches Verkehrsmittel. Sie waren nämlich mit dem Auto unterwegs, da sie in den Urlaub fuhren. Für den achtjährigen Soul war es der erste Urlaub, an den er sich später zurückerinnern würde. Seine Eltern waren schon mal früher mit ihm weg gefahren, aber da war er zu klein gewesen, um sich daran noch erinnern zu können.

»Bist du angeschnallt?«, wollte seine Mutter wissen, als sie vorne auf dem Beifahrersitz einstieg und über die Schulter zu ihm nach hinten sah. Mittlerweile hatte sie auch noch ihre Sonnenbrille auf den Kopf gesetzt, der Sonne ein Zeichen gebend, sie möge doch endlich hervor kommen. 

»Ja«, antwortete er, kurz nachdem das leise Klicken des Gurtes zu hören war, der einrastete. Danach ging es los, doch Ruhe gab es deswegen immer noch nicht. Seine Mutter war eine sehr hektische, aufgeregte Persönlichkeit. Bei ihr musste immer alles ganz schnell gehen und sofort funktionieren. Wenn das nicht klappte, regte sie sich viel zu schnell auf, meckerte und verlor die Geduld. Souls Vater war ein wenig anders, ruhiger, aber er hatte vermutlich schon lange damit abgeschlossen, dass sich an der Gesamtsituation was änderte. Vielleicht besaß er deswegen schon den grauen Haaransatz? Statt seine Ehefrau zu verlassen, blieb er immer noch bei ihr, stritt sich mit ihr über Kleinigkeiten und suchte sein Heil in der Flucht. Die Flucht war seine Arbeit. Was genau er tat, wusste Soul nicht. Er hatte seinen Vater nie bei der Arbeit besuchen dürfen und er redete auch nie wirklich darüber. Ob seine Mutter wusste, was er tat? So wie sie wirkte, interessierte sie es nicht sonderlich. Sie selbst war eine Behördenangestellte und bearbeitete irgendwelche Anträge, Akten oder solchen Kram von dem Soul noch weniger Ahnung hatte.

»Hoffentlich hört es bald auf zu regnen«, meinte seine Mutter vorne genervt und strafte die Wolkendecke mit bösen Blicken.

»Bis wir in Relievera City angekommen sind, dauert es noch ein paar Stunden. Der Wetterbericht hat für diese Region … «, begann sein Vater, doch er wurde von seiner Mutter unterbrochen.

»Ich weiß, was der Wetterbericht gesagt hat! Aber es sieht nicht danach aus, als würde die Sonne heraus kommen!« Soul sah aus dem Fenster und beobachtete die vorbei fliegende Landschaft von Escissia, während seine Eltern sich nun über das Wetter und den Wetterbericht aus dem Fernseher stritten. Sonne oder Regen? Es war egal. Wenn es nicht das Wetter war, dann fanden seine Eltern andere Themen über die sie sich streiten konnten. Soul kannte es nicht anders. 

 

Einige Stunden später war die Laune seiner Eltern immer noch nicht besser, aber sie hatten zumindest eine ganze Weile den Mund gehalten und der Radiomusik gelauscht oder ihren eigenen Gedanken nachgehangen. Hin und wieder gab es zu irgendwas einen Kommentar. Sei es ein vorbei fliegendes Dartiri, welches fast auf die Frontscheibe geknallt wäre oder der Wetteronkel im Radio, der sonnige Besserung versprach. Besonders optimistisch eingestellt war Souls Mutter nicht. Doch diesmal war es sein Vater, der anfing zu brummen, als sich vor ihnen ein Stau offenbarte. Die Hauptstraße nach Illumina City war viel befahren und da man darüber schneller voran kam, hatten seine Eltern diese Route nehmen wollen. Doch wie es sich ganz offensichtlich herausstellte, wäre es  besser gewesen den Umweg über die Dörfer zu nehmen. Das wäre unterm Strich zwar eine längere Route gewesen, jedoch wären sie da vermutlich trotzdem schneller voran gekommen.

»Na toll, das fehlte uns gerade noch«, maulte auch seine Mutter wieder los und ein erneuter Streit brach im Auto aus. Soul gähnte, als die beiden sich gegenseitig die Schuld zuwiesen, sie hätten doch über die Landstraße fahren sollen, aber nein, der andere war der Meinung gewesen, dass die Hauptstraße besser dafür geeignet war. Noch einmal gähnte Soul und sah aus dem Fenster. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er auch Zuhause bleiben können. Er versprach sich nicht viel davon in den Urlaub zu fahren. Seine Mutter war deswegen positiv aufgeregt gewesen, weil sie sich auf den Strand, das gute Wetter und vor allem das Meer freute. Sie wollte in der Sonne liegen, sich bräunen und entspannen. Sofern sie überhaupt dazu in der Lage war. Böse Zungen behaupteten nämlich etwas ganz anderes. Souls Vater hingegen war es relativ egal gewesen, wohin sie in den Urlaub fuhren, solange er selbst mal ein wenig Ruhe bekam. Doch davon war weit und breit nichts zu sehen. 

»Es geht weiter, nun fahr schon!«, wetterte Souls Mutter. Sein Vater fuhr nur wenige Zentimeter weiter, da der Stau nicht mehr zu ließ.

»Siehst du, wäre gar nicht nötig gewesen solch einen Stress zu machen«, erwiderte er gereizt und die Diskussion entbrannte von Neuem. 

 

Es glich einem wahren Wunder, dass sie nach Stunden der langen Fahrt irgendwann doch noch Relievera City erreichten. Zwar ging auf der anderen Seite des Horizonts bereits die Sonne langsam unter, aber das Wetter war wundervoll warm und es war keine einzige Regenwolke mehr zu sehen. Während sie immer mehr in Richtung Westen gefahren waren, hatte sich auch nach und nach der graue Wolkenhimmel aufgelöst.

»Siehst du? Wie der Wetterbericht gesagt hat«, rieb es Souls Vater dennoch seiner Frau unter die Nase.

»Ja, ja, schon gut«, meinte diese nur. Sie war einfach nur froh, dass sie da waren und begann damit die Taschen aus dem Kofferraum zu holen. Die schweren Koffer überließ sie ihrem Mann. Soul hingegen bekam von ihr seinen eigenen Koffer in die Hand gedrückt. Er war etwas kleiner, als der Koffer seiner Mutter, und mit praktischen Rollen versehen, so dass er ihn nur hinter sich herziehen musste. Das Hotel, in dem sie übernachten würden, besaß unendlich viele Stockwerke, dass er gar nicht in der Lage war, sie alle zu zählen. Auf jeden Fall war das Hotel sehr groß und Soul hatte zu tun, seiner Mutter zu folgen und sich am Ende nicht zu verlaufen. Denn nachdem sie bei der Rezeption eingecheckt und die Zimmerschlüssel abgeholt hatten, mussten sie mit dem Fahrstuhl in den siebten Stock fahren, um überhaupt ihre Zimmer zu erreichen. Und dort gab es noch einmal etliche Gänge und Abzweigungen, bis sie ankamen. 

»Ist es nicht wundervoll?«, wollte seine Mutter von ihm wissen. Sie besaß ganz das Urlaubsgefühl, wovon Soul noch Meilenweit entfernt war. Antworten tat er seiner Mutter auch nicht, denn er wusste, dass sie keine wirkliche Antwort von ihm erwartete. 

»Herrlich!« Ja, herrlich, jetzt wo sie da waren und sie endlich nicht mehr so einen Stress machte. Soul wusste es besser. Spätestens morgen früh, wenn sie vorhatte die Stadt zu erkunden, würde sie wieder ihre imaginäre Peitsche heraus holen und sie alle striezen. 

Seine Eltern zogen natürlich in ein Zimmer mit Doppelbett ein. Soul bekam ein eigenes Zimmer, in dem zwei Betten standen. Vermutlich gab es gar keine richtigen Einzelzimmer, aber das war nicht schlimm. So konnte er, wenn er wollte, jede Nacht in einem anderen Bett schlafen. Allerdings fühlte er sich immer noch in seinem eigenen Bett Zuhause am wohlsten. Da seine Mutter Hunger hatte, wurde das Kofferauspacken auf später verschoben. Sie luden nur ihre Sachen ab, begutachteten ihre Zimmer und die dazu gehörigen Badezimmer und verließen dann diese schon wieder. Seine Mutter erzählte ihm mehrere Male, dass er unter keinen Umständen seinen Zimmerschlüssel verlieren durfte. Soul hatte das schon beim ersten Mal verstanden. Auch wenn er erst acht war, ganz blöd war er dann doch nicht. Doch seine Mutter übertrieb sehr gerne und konnte dadurch eine echte Nervensäge sein. 

»Das hoteleigene Restaurant befindet sich im Erdgeschoss und hat gerade geöffnet«, sagte sein Vater, der einen Prospekt des Hotels in den Händen hielt und studierte. Normalerweise trug er lange Hosen, aber da sie sich im Urlaub befanden, hatte er ausnahmsweise eine kurze Hose angezogen, dazu ein Hemd mit Blumenmuster. Wenn das nicht für Urlaub sprach, was dann?

»Sehr gut, auf zum Essen!«, wies Souls Mutter an und gemeinsam suchten sie das besagte Restaurant auf. Nach der langen Fahrt knurrte auch Soul der Magen. 

Sie mussten erneut den Fahrstuhl benutzen, denn die Treppen wollten seine Eltern nicht hinab steigen. In der Hinsicht waren sie genauso faul wie alle anderen Urlauber. Immer schön entspannt im Fahrstuhl rauf und runter fahren. Mit schwerem Gepäck war das verständlich, doch jetzt trugen sie kaum etwas mit sich. Camille – Souls Mutter – hatte natürlich ihre Handtasche dabei, aber weder ihr Mann noch ihr Sohn hatten eine Tasche oder Rucksack mitnehmen wollen. Wieder unten in der Lobby des Hotels angekommen, fanden sie schnell heraus, wo es zum Restaurant ging. Dank der Wegweiser, die in diesem Gebäude überall an den Wänden hingen, war das auch gar kein so großes Problem. Obwohl Soul Hunger hatte, interessierten ihn weniger die Tische, die schön mit Tischdecken und Tischdekokorationen gedeckt waren, als viel mehr das riesige Aquarium, welches sich durch den gesamten Raum des Restaurants zog. Es besaß nur eine relativ schmale Breite, doch die Länge war äußerst bemerkenswert. Mehrere Meter erstreckte es sich von einer Wand zur anderen und bot zahlreichen Wasser-Pokémon ein Zuhause. Als Soul diese Entdeckung machte, flitzte er sofort los, um es sich genauer anzusehen. Den Ruf seiner Mutter ignorierte er völlig und stellte sich auf seine Zehenspitzen, um eine bessere Sicht zu erhaschen. Das Aquarium war auf eine Art höheres Podest gestellt worden, weswegen es nicht direkt bis zum Boden reichte. Soul musste sich daher etwas größer machen, damit er alles sehen konnte, aber das störte ihn nicht weiter. Seine blauen Augen leuchteten, als er die vorbei schwimmenden Pokémon bestaunen konnte. Neben den kleinen Schwarm an herzförmigen Liebiskusse konnte er auch vereinzelte Corasonns entdecken. 

»In diesem Aquarium befinden sich hauptsächlich Wasser-Pokémon, die sonst nur im Meer leben«, hörte Soul eine Stimme neben sich. Er erschrak, sackte wieder auf den ganzen Fuß hinab und drehte sich nach links, um in das lächelnde Gesicht eines hochgewachsenen Mannes zu blicken. 

»Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich bin Jerome Fournier, Pokémon-Feldforscher«, stellte sich der Fremde vor. Soul sah ihn immer noch mit großen Augen an, legte aber die Stirn in Falten.

»Feldforscher?« Das hatte er noch nie gehört, was aber Jerome Fournier nicht weiter tragisch fand. 

»Ja, ich bin Feldforscher. Ich beobachte die Pokémon in freier Wildbahn und studiere dort ihre Verhaltensweisen, wie sie in der Wildnis aufwachsen und leben.« Das klang ziemlich interessant. Jerome beugte sich ein wenig vor und hielt die Hand neben seinen Mund, als wollte er Soul gleich ein Geheimnis anvertrauen. Er flüsterte sogar.

»Meine heimliche Leidenschaft sind aber eigentlich die Meeres-Pokémon, nur sag das bloß nicht meinen Kollegen.« Er zwinkerte Soul zu, der erst nicht genau wusste, was er davon halten sollte, ehe er ein kleines Lächeln zustande brachte und eifrig nickte.

»Ja!«, versprach er. Dann sah er wieder auf das Aquarium, doch erneutes Staunen kam über sein Gesicht. 

»Was ist das?«, wollte er von dem Feldforscher wissen und deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf ein kleines Pokémon, was gerade an der Scheibe entlang schwamm. Es hatte einen dunkellilanen Körper, der in Souls Augen sehr eigenartig geformt war. Es sah gar nicht wie ein Fisch-Pokémon aus. Was war es dann? Flossen schien es dennoch zu besitzen, auch wenn die seltsam aussahen. 

»Oh, das ist ein Algitt. Man findet es hauptsächlich am Meeresgrund zwischen den Unterwasserpflanzen. Es ist allerdings giftig, weswegen man es besser nicht berühren sollte, falls man taucht und es entdeckt.« Soul sah sehr interessiert drein, weswegen sich der Feldforscher dazu animiert fühlte dem Jungen einiges über die Bewohner des Aquariums zu erzählen. 

»Und dort kommt ein Mantax. Er ist allerdings zu seinen üblichen Artgenossen im Meer hier noch sehr klein.« 

»Er fliegt!«, hörte Jerome aus dem Mund des Jungen erstaunt sagen und musste deswegen leise lachen. So etwas konnte auch nur von einem Kind kommen, aber es war liebreizend.

»Ja, deswegen hat Mantax auch neben den Wassertypen noch den Zweittypen Flug«, erklärte er ihm. Das Mantax im Aquarium breitete weit seine Flügel aus und wirkte tatsächlich so, als würde es durch das Wasser fliegen. Soul war wie gebannt und starrte dem Pokémon hinterher, als es an ihm und dem Algitt vorbei schwamm und seine neue Runde drehte. 

»Meine Güte, Soul, ich hab dich schon mehrere Male gerufen!«, erklang die Stimme seiner Mutter dicht hinter ihm. Soul erschrak sich erneut, vor allem als seine Mutter seinen Arm packte und ihn harsch umdrehte. 

»Tut mir leid, wenn mein Bengel sie genervt hat«, entschuldigte sie sich bei Jerome Fournier, der selbst ganz perplex über das Anstürmen der Frau war.

»Oh nicht doch, das hat er nicht«, antwortete er ihr, doch anscheinend bekam sie das gar nicht mehr richtig mit. Sie zerrte an dem Arm ihres Sohnes und schleifte ihn hinter sich zurück zu dem Tisch, den sie mit ihrem Mann bereits ausgesucht hatte.

»Wenn ich dich rufe, hast du gefälligst zu hören«, konnte Jerome noch von der Mutter meckern hören. Der Junge tat ihm in dem Moment leid, doch er war nicht dafür verantwortlich, wie Eltern ihre Kinder erzogen. Deswegen hatte er sich auch der Forschung der Pokémon gewidmet anstatt Erzieher zu werden. 

Soul dagegen wirkte ziemlich unglücklich mit der rabiaten Behandlung seiner Mutter. Warum musste sie sich auch schon wieder so aufregen?

»Du tust mir weh«, jammerte er, wurde allerdings ignoriert und erst los gelassen, als sie den Tisch erreicht hatten. Dort hatte er sich hinzusetzen und darauf zu warten, dass das Essen kam. Man hatte bereits für ihn mitbestellt. Trotz dass seine Mutter ihn verbot noch einmal aufzustehen, sah er über den Abend hinweg, immer wieder zu dem Aquarium, um noch einige Pokémon zu erhaschen. Zu gerne würde er es sich noch einmal näher anschauen, doch auch nach dem Essen gestatteten seine Eltern ihm diese Gelegenheit nicht. 

 

Die darauffolgenden Tage verliefen in etwa alle gleich ab. Sie standen spätestens neun Uhr auf, um das Frühstück des Hotels in Anspruch zu nehmen und danach gingen sie in die Stadt. In erster Linie entschied Souls Mutter, wohin sie gingen. Serge – Souls Vater – war es egal, wohin sie gingen. Er besaß keinerlei Vorliebe, was er sich ansehen wollte und war nicht selten damit auch beschäftigt zu telefonieren, was im Endeffekt wieder schlechte Laune bei Camille auslöste. Dadurch, dass er anscheinend selbst hier im Urlaub sich um seine Geschäfte kümmerte, anstatt einfach mal abzuschalten, gab es immer wieder gereizte Stimmung. Soul konnte dagegen nichts machen und erduldete das Gezeter sowohl seiner Mutter, als auch das tiefe Brummen seines Vaters, der genervt war. 

Gefühlt Hundert Souvenirshops erkundeten sie die Tage, schlenderten in allerlei Boutiquen und verbrachten teilweise Stundenlang am Strand. Besonders Souls Mutter war sehr daran gelegen schön braun zu werden, weswegen sie in ihrem Bikini direkt in der prasselnden Sonne lag und sich braten ließ. Genau in der Zeit hatte Soul ein wenig Ruhe vor ihrem Gezeter, genauso wie sein Vater, der kurz darauf schon wieder am Telefonieren war, nachdem er seine Frau noch zuvor den Rücken mit Sonnencreme eingerieben hatte. Eine Geste, die eigentlich für mehr Harmonie zwischen dem Paar sorgen sollte, aber auch da nur wieder Stress ausgelöst worden war. Soul verstand seine Eltern nicht und war mehr damit beschäftigt eine Sandburg zu bauen. Ins offene Meer zu gehen und zu schwimmen, behagte ihm nicht. Die Wellen waren an diesem Tag recht hoch, weswegen viele Surfer an den Strand gekommen waren, um dieses perfekte Surfwetter auszunutzen. 

Er beobachtete die Surfer immer wieder, bis er ganz von seiner noch nicht fertigen Sandburg abließ und näher an das Meer heran ging. Es war beeindruckend, wie die jungen Männer und Frauen auf ihren Surfbrettern die Wellen ritten. Einige von ihnen hatten auch ihre Wasser-Pokémon dabei. Bei einer jungen Surferin ritt ein Igamaro mit. Es stand direkt vor ihr auf dem Surfbrett und genoss genauso wie seine Trainerin das Wellenreiten. Das sah ganz schön cool aus. Souls Neid stieg. Weniger wegen des Surfens an sich, als viel mehr dafür, dass er kein eigenes Pokémon besaß. Er hätte auch gerne eins und das nicht erst seit heute. Schon vor einem Jahr hatte er den Wunsch seinen Eltern gegenüber geäußert, doch sie waren beide dagegen gewesen. Ein Pokémon aufzuziehen und zu trainieren, kostete viel Verantwortung und Zeit. Zwei Dinge, die seine Eltern dafür nicht aufbringen wollten, aber auch nicht ihrem Sohn überließen. Er hatte ihnen versprochen, dass er sich gut um ein Pokémon kümmern würde, wenn er eines bekam, aber damit stieß er bei seinen Eltern nur auf taube Ohren. Ein paar Mal hatte er es noch versucht, bis er es aufgegeben hatte. Wenn er heute wieder damit ankam, wusste er, welche Antwort er bekommen würde. 

»Vorsicht!«, rief jemand. Soul fühlte sich nicht angesprochen, drehte sich aber trotzdem nach rechts, nur um kurz darauf einen Satz nach hinten zu machen und das Gleichgewicht zu verlieren. Gut, dass der Sand weich war, so dass er sich nichts dabei tat. An ihm raste und sprang ein wild gewordenes Mähikel vorbei, welches ihn fast mit seinen kleinen Hörnern erwischt hätte. Was war hier los? Soul sah ziemlich erschrocken drein. 

»Bleib stehen!«, rief ein Junge, der im gleichen Alter wie er selbst sein musste und an ihm vorbei rannte, dem Mähikel hinterher. Gelächter kam von der rechten Seite, weswegen Soul rüber sah. Es war eine Gruppe von Jugendlichen. Sie waren alle älter als er selbst und älter als der Junge, der dem Mähikel nach rannte.

»Los Joe, fang das Mähikel! Beeil dich!«, rief einer der älteren Jungen dem Jüngeren nach, winkte mit dem ausgestreckten Arm und lachte genauso wie die anderen. Offenbar fanden sie es komisch, dass dieser Joe versuchte das Mähikel wieder einzufangen. Es war kein wildes Pokémon, aber eines, was viel Temperament besaß. Eines der älteren Mädchen, die bei der Gruppe stand, löste sich und kam auf Soul zu, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung war. Sie hatte gesehen, wie er dem Mähikel ausgewichen war.

»Hast du dich verletzt?«, wollte sie von ihm wissen und beugte sich zu ihm runter. Erst da begriff Soul, dass er immer noch im Sand saß und stand deswegen schnell wieder auf.

»Nein!«, sagte er etwas zu harsch, weswegen das Mädchen verdutzt drein sah. Für eine Erklärung oder eine Entschuldigung war keine Zeit. Das kleine Zwischenereignis hatte Souls Mutter auf den Plan gerufen, die an gestapft kam. Soul ahnte nichts Gutes, als er sie sah und genau so war es auch.

»Machst du etwa schon wieder Ärger?«, wollte sie von ihm wissen.

»Ich hab gar nichts gemacht!«, versuchte er sich zu verteidigen, doch das interessierte sie wie immer nicht. Wie das letzte Mal schon, packte sie ihren Sohn am Arm und schleifte ihn davon. Da sie eh vorgehabt hatten den Strand langsam zu verlassen, war das nun der Zeitpunkt dafür. Doch war es wirklich notwendig durch seine gebaute Sandburg zu laufen, die dadurch kaputt ging? Sie war zwar noch nicht ganz fertig gewesen, aber Soul hatte sich damit wirklich viel Mühe gegeben. Seine Mutter interessierte das alles nicht und war schon wieder auf Hundertachtzig. Soul vermutete, dass seine Eltern kurz zuvor wieder einen Streit gehabt hatten, denn auch sein Vater wirkte alles andere als gut gelaunt. 

Bevor sie den Strand endgültig verließen, konnte Soul im Hintergrund ein Jubeln und Klatschen hören. Er drehte sich noch einmal zurück, nur um zu erkennen, dass der Junge mit den Namen Joe das Mähikel erfolgreich gefangen hatte. Stolz brachte er es zu den Älteren zurück und ließ sich feiern. Das waren echte Freunde. Soul seufzte und folgte seinen Eltern, die wieder diskutierten. Es ging wohl um die Arbeit seines Vaters, über das Telefonieren, die Tatsache, dass sein Vater seine Mutter ständig mit allen Aufgaben und Pflichten allein ließ und sich auch nicht in die Erziehung seines Sohnes mit einmischte. Oder irgendwie so. Soul verlor schnell den Faden, denn die beiden waren wahre Könige darin zu übertreiben, sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben und vor allem darin, keine Fehler zuzugeben. Es waren immer die anderen Schuld, sie selbst aber nie. 

 

Auf den Weg zurück ins Hotel wurde es bereits dunkel, aber deswegen wurden seine Eltern noch längst nicht müde mit ihrem Gemecker. Die ganze Zeit stritten sie sich, ohne darauf zu achten, dass ihr Sohn ihnen hinterher kam. Irgendwann war er es nämlich müde und blieb einfach stehen. Seine Eltern gingen weiter und weiter und weiter und bekamen gar nicht mit, dass sie immer mehr Abstand zu ihm gewannen. Kein einziges Mal drehten sie sich um, um zu überprüfen, dass Soul noch bei ihnen war. Auch als sie um die nächste Ecke bogen, wartete er darauf irgendeine Reaktion zu hören. Seine Mutter würde laut schimpfen und zurück geeilt kommen, aber dazu kam es nicht, weil sie nicht mitbekam, dass ihr Sohn fehlte. Er wusste, dass er eine Menge Ärger bekommen würde, wenn er einfach so verschwand, aber egal ob er was tat oder nicht, sie ließ sowieso immer ihren Frust an ihm aus. Also konnte er dieses Mal tatsächlich etwas anstellen, oder nicht? Zwar suchte Soul nicht bewusst den Ärger, aber sich vorzustellen im Hotel mit seinen streitenden Eltern den Abend zu verbringen, war mehr als nur ermüdend. Er wandte sich vom Fußweg ab und sah in eine Seitengasse, da er etwas gehört hatte. Das Klappern von Mülleimern oder etwas Ähnlichem. Die Hauptstraßen waren hell beleuchtet, auch in der Nacht, doch die Seitenstraßen bekamen nur spärlich Licht ab und wirkten dadurch ein wenig unheimlich. Wenn Soul wirklich verschwand, würden seine Eltern sich dann Sorgen um ihn machen? Ihn gar vermissen und froh sein, wenn er wieder da war? Er sah zurück in die Richtung, in der seine Eltern verschwunden waren, ehe er sich dazu entschloss in die Seitengasse einzubiegen. Was sollte hier schon großartig passieren? Es mochte zwar dunkel sein, aber bis auf ein paar nachtaktive Rattfratz oder Mauzis dürfte er wohl kaum etwas begegnen. Vor diesen Pokémon hatte er keine Angst. Außerdem würden die noch eher die Flucht vor ihm ergreifen, anstatt auf ihn zu zu kommen. Wildlebende Pokémon gab es in jeder Stadt. Es waren meist Kleinere, die sich an das Straßenleben angepasst hatten. Manchmal waren es auch entflohene oder ausgesetzte Pokémon. Wenn sie nicht von der Behörde eingefangen wurden, lebten sie auf der Straße weiter, fraßen den Müll aus den Abfalleimern und vermieden es im Großen und Ganzen den Kontakt zu den Menschen direkt zu suchen. Soul hatte also keine Angst. Auch nicht vor irgendwelchen Geistern, die vielleicht auftauchen könnten. Doch diese traf man eher nur in abgelegenen Gegenden, wie alten und verlassenen Häusern oder auf Friedhöfen oder so. Hier in einer Nebengasse wohl kaum. Andererseits fände er es schon sehr interessant, würde er ein paar Pokémon begegnen. Er ging tiefer in die Nebengasse hinein und sah sich um, konnte allerdings bisher noch nichts entdecken. Das Geräusch, was er vorhin schon gehört hatte, kam aus einer dunkleren Ecke, die weiter von ihm weg lag. Er folgte dem Laut mit langsamen, beinahe lautlosen Schritten. Falls es sich um ein Pokémon handelte, wollte er es unter keinen Umständen aufschrecken! Neben dem Scheppern einer Mülltonne konnte er noch zusätzliches Knurren hören. Spätestens da fing sein Herz schneller an zu schlagen. So knurrte doch nie und nimmer ein Rattfratz! Und ein Mauzi auch nicht, welches er kurz darauf laut auf fauchen hörte. Kleine tippelnde Schritte verrieten ihm, dass dieses Pokémon die Flucht ergriff. Als es dann auch an ihm vorbei jagte, war er sich ganz sicher, dass es ein Mauzi gewesen war. Es hatte von ihm keine Notiz genommen und stürmte davon. Was hatte es so aufgeschreckt? 

Soul wandte sich wieder der dunkleren Ecke zu, der er sich näherte. Mittlerweile konnte er eine Bewegung ausmachen, doch leider war es zu dunkel, um etwas Genaueres zu erkennen. Er ging noch ein Stück näher heran, bis auf einmal zwei leuchtend rote Augen erschienen. Die Kopfbewegung nach oben hatte ausgereicht, um die Augen des Pokémons zu sehen. Über diesen Augen schimmerte etwas Weißliches auf, was Soul noch nicht richtig identifizieren konnte. Was war es nur? Ein Pokémon ja, aber welches? Das drohende Knurren wurde lauter, da es den Eindringling – Soul – mitbekommen hatte und nun sein Revier oder seine mögliche Abfallbeute verteidigen wollte. Soul war stehen geblieben. Sollte er näher heran gehen? Aber dann würde er es bestimmt provozieren und beißen lassen wollte er sich auch nicht! Außerdem kam noch mehr Bewegung ins Spiel, als sich das Pokémon langsam aus dem finstersten Schatten heraus löste und halbkreisförmig an Soul vorbei ging. Mehrere Meter waren zu ihnen beiden als Abstand vorhanden, aber dadurch, dass das Pokémon langsam hervor kam, konnte Soul auch endlich mehr erkennen. 

Oh ja, die scharfen Zähne im Maul, die durch das Heben der Lefzen deutlich sichtbar wurden, sahen sehr gefährlich aus. Das Weiße, was er über den Augen vorhin erahnt hatte, stellte sich als eine Art Schädelplatte heraus, die auf dem Kopf des Pokémons war. Soul hatte so ein Pokémon noch nie gesehen. In Escissia gab es solche nicht und selbst wenn, dann war es vermutlich nachtaktiv. So wirkte es. Nachts durfte er nicht hinaus, seine Eltern waren da sehr streng. Wenn sie wüssten, dass er sich hier herum trieb, würden sie mehr als nur ausrasten. Aber das war ihm gerade egal. Mit faszinierendem Blick beobachtete er das Pokémon, was ihm drohte. Sein Nackenfell war aufgestellt, seine Zähne drohend gefletscht und seine Krallen scharrten über den Boden. Soul wusste instinktiv, dass er besser an Ort und Stelle blieb, aber er drehte sich immer mit dem Pokémon, damit er niemals mit dem Rücken zu ihm stand. Das war gut so, aber dem kleinen Monster lag weniger daran ihn anzugreifen. Es wollte ihn nur auf Abstand halten und nutzte die Chance zur Flucht, als es weit um Soul herum gelaufen war, um aus der Nebengasse zu fliehen. Als er es wegrennen sah, atmete er erleichtert auf. Das war ganz schön aufregend gewesen. Doch die viel wichtigere Frage war, was war es für ein Pokémon gewesen? Wenn er das nur wüsste … 

Quietschende Autoreifen ließen ihn zusammenzucken und aufhorchen. Es gab ein wildes Hupkonzert, irgendwo ein jämmerliches Aufheulen und dann ein undefiniertes Brüllen von irgendeinem Mann. Irgendetwas war passiert und Soul rannte los und aus der Seitengasse wieder hinaus. Er kam auf dem Fußweg von vorhin an und erkannte ein paar stehende Autos. Ein Mann war gerade wieder dabei in sein Auto zu steigen, doch er wetterte munter vor sich her: »Dieses verdammte Vieh!« 

Vieh? Welches Vieh meinte er? Soul sah sich um und entdeckte den kleinen Körper, der sich von der Straße weg schleppte. 

»Es ist verletzt!«, stellte er fest und lief dem Pokémon hinterher. Dieses bekam allerdings mit, dass es einen Verfolger hatte und raffte seine verbliebenen Kräfte zusammen und rannte los. Es floh vor ihm in eine weitere Gasse, doch es kam nicht weit. Als Soul ebenfalls dort hinein bog, konnte er erkennen, wie das Pokémon zusammenbrach und bewegungslos liegen blieb. Er stoppte seinen Lauf und näherte sich nur noch ganz langsam dem fremden Pokémon. War es etwa tot? Vorsichtig umrundete er es, denn vorhin hatte er die scharfen Zähne gesehen. Er wollte auch jetzt nicht gebissen werden, aber als er es erreichte, konnte er deutlich erkennen, dass es weggetreten war. Es war nicht mehr wach und damit war die Wahrscheinlichkeit etwas geringer gebissen zu werden. Trotzdem stupste Soul zuerst nur mit der Fußspitze das Pokémon am Hinterteil an. Vorsicht war besser als Nachsicht! Keine Reaktion. War es womöglich doch tot? 

Nein, war es nicht. Mit Erleichterung konnte Soul das Heben des Brustkorbes erkennen. Zwar besaß dieses Pokémon schwarzes Fell, so dass in diesem diffusen Licht nur wenig zu erkennen war, aber es lebte noch. Soul ging in die Hocke und betrachtete es von Nahem. Als er behutsam seine Hand auf die Flanke des Pokémon legte, gab es ein geschwächtes Winseln von sich. Daher zog er seine Hand wieder zurück und bemerkte die Feuchtigkeit an seinen Fingern.

»Blut!« Das Pokémon blutete, weil es verletzt war. Bestimmt war es vorhin angefahren worden, was das Stehen der Autos, das wilde Gehupe und das Zetern des Mannes erklärte. Nun stieg Souls Sorge noch mehr. Er kannte das Pokémon nicht, hatte aber viel Mitleid für es übrig. Er wollte ihm unbedingt helfen! Als er versuchte es auf seine Arme zu heben, zuckte es kurzzeitig zusammen, als wollte es sich dagegen wehren, doch die Kraft reichte nicht und es sackte wieder in sich zusammen. Soul schaffte es, das Pokémon aufzuklauben. Hätte man ihn darüber aufgeklärt, wie man damit verfuhr sich um verletzte Pokémon zu kümmern, hätte er es liegen gelassen und lieber jemanden dazu geholt, der sich besser damit auskannte. Denn verletzte, vor allem wilde oder streunende Pokémon sollte man nicht berühren. Sie konnten Krankheiten übertragen. Selbst wenn Soul das gewusst hätte, wäre es ihm vielleicht egal gewesen. Er wollte dem verletzten Pokémon helfen. Besonders als er bemerkte, dass der äußere Schädelknochen auf dem Kopf einen tiefen Riss erhalten hatte. Das musste bei dem Zusammenprall mit dem Auto passiert sein. Möglicherweise hatte dieser Knochen dem Pokémon das Leben gerettet, auch wenn es im Moment nicht danach aussah. 

»Uff«, schnaufte der Junge, als er aufstand. Trotz dass dieses Pokémon relativ klein war, besaß es für einen Achtjährigen ein ganz schönes Gewicht. Soul hatte zu kämpfen nicht selbst umzufallen. Rennen konnte er nicht, aber er würde es schaffen. Bei der Erkundung der Stadt waren sie auch mal an einem Pokémon-Center vorbei gekommen. Er musste es nur finden, dann würde ganz bestimmt alles gut werden. Es musste einfach alles gut werden! Wenigstens für dieses Pokémon. 

Als er die Gasse wieder verließ, versuchte er sich zu orientieren. Musste er nach rechts oder nach links? Er hatte keine Ahnung und versuchte auf gut Glück seinen Weg zu finden und ging los. An irgendeinem Schild musste doch dran stehen, wo das Pokémon-Center zu finden war. Gut, dass er schon lesen konnte, aber einfach war es nicht, sich in so einer großen Stadt zurecht zu finden. Noch dazu im Dunkeln! Die Menschen, denen er begegnete, gingen auch meistens an ihn vorbei oder registrierten ihn noch nicht einmal. Sollte er einen von ihnen ansprechen? Aber was, wenn sie dann seinen Eltern Bescheid gaben? Dann würde er großen Ärger bekommen. Nein, er musste das Pokémon-Center alleine finden! Irgendwo würde es schon zu finden sein. Das Pokémon auf seinen Arm musste nur lange genug durchhalten. 

Nach gefühlt einer Ewigkeit des Herumirren wurde er doch noch von einem der umher laufenden Menschen angesprochen. Ausgerechnet der Pokémon-Feldforscher traf ihn hier an.

»Hallo kleiner Mann«, begrüßte er ihn und wirkte sehr verdutzt. »Was hast du denn da?« Soul wich automatisch zurück. Dieser Mann war zwar im Hotel nett gewesen, aber was, wenn er genauso drauf war wie dieser Autofahrer, der über dieses Pokémon geschimpft hatte? Vieh hatte er es genannt!

»Ist das Pokémon etwa verletzt?«, wollte Jerome Fournier wissen und kam näher. Soul wich wieder zwei Schritte zurück, was auch Jerome auffiel. Er hob beschwichtigend die Hand.

»Hey, keine Angst, ich will nur helfen, ja? Was ist genau passiert?«, wollte er von ihm wissen. Konnte Soul ihm wirklich vertrauen? Andererseits wusste er nicht, wo das Pokémon-Center war. Wie lange sollte er noch herum irren? Vielleicht starb das Pokémon in seinen Armen, wenn er nicht schnell genug war!

»Es wurde angefahren. Bitte, es braucht Hilfe«, gab Soul nun doch zu und bat um Hilfe, was ihm schwerer über die Lippen kam, als erwartet. Ganz vertrauen tat er Jerome nicht, aber das sanfte Lächeln beschwichtigte Soul ein wenig.

»Keine Sorge, ich bring es ins Center, da wird man sich darum kümmern«, meinte er und streckte schon die Arme aus. Soul wich erneut zurück und wirkte nicht gerade begeistert darüber. Natürlich wollte er, dass man dem Pokémon half, aber ein Restmisstrauen blieb. Jerome spürte es und versuchte es anders.

»Okay, dann lass uns es zusammen ins Center bringen, ja? Es blutet, wir sollten uns beeilen«, schlug er vor, womit Soul schon mehr einverstanden war. Er nickte und folgte dem Feldforscher bis ins Center. Dort angekommen, musste sich der Junge dann doch von dem Pokémon trennen, was ihm offenbar schwerer fiel, als man vermutet hätte. Jerome erklärte Soul, dass das Pokémon in guten Händen sei und die Ärztin sich prima darum kümmern würde. Trotzdem sah Soul sehr besorgt aus. Jerome ging es nicht anders, aber noch mehr Sorgen machte er sich um den Jungen.

»Wo sind eigentlich deine Eltern? Bist du ganz allein unterwegs?« Er hatte sie nirgendwo gesehen. Dass der Kleine hier einfach allein umher lief, gefiel Jerome ganz und gar nicht, doch er wollte dem Kind keine Angst einjagen. Soul ging auch nicht auf die Frage ein. Seine Eltern würden ihn sicher anschreien, besonders wenn sie das Blut an seinen Sachen kleben sahen. Er hob den Kopf und sah den Feldforscher fragend an.

»Wissen Sie, was das für ein Pokémon war?«, wollte er von ihm wissen. Er hatte leider keine Ahnung, aber dieser Forscher würde bestimmt die Antwort kennen. Enttäuscht wurde Soul nicht, als Jerome sich zu ihm auf die Bank setzte und ihn anlächelte.

»Ja, das war ein Hunduster. Eigentlich leben sie nördlich von der Stadt im Wald. Dass sich hier eins in die Stadt hinein verirrt, kommt eher selten vor. Normalerweise sind es sehr, sehr scheue Pokémon. Allerdings auch gefährliche. Sie haben unter den Menschen keinen besonders guten Ruf, allein schon wegen ihres Aussehens«, erklärte Jerome. Soul kräuselte die Nase und die Stirn.

»So schlimm sah es doch gar nicht aus. Es ist sogar sehr cool!«, meinte er trotzig und brachte Jerome dazu zu lachen.

»Die spitzen Zähne sind schon nicht ganz ohne. Es ist besser, wenn du dich nicht von ihm beißen lässt. Sie können Knochen zermalmen.« Souls Augen zeigten wieder das kindliche Erstaunen, was Jerome schon im Hotel vor dem Aquarium gesehen hatte.

»Du magst Pokémon, hm? Hast du denn eins?«, wollte der Forscher von dem Jungen wissen, der daraufhin den Kopf schüttelte.

»Nein, meine Eltern erlauben es mir nicht.« Seine Eltern … Das war das erneute Stichwort. 

»Sie machen sich bestimmt Sorgen um dich. Es ist schon spät. Du solltest zu ihnen zurück«, sagte Jerome und sah, wie Soul die Lippen fest aufeinander presste. Eine Antwort bekam er von ihm nicht, doch als er aufstand, weil er Soul zurück begleiten wollte, konnte er in Souls Augen einen bittenden Schimmer erkennen. 

»Du machst dir Sorgen um das Pokémon, nicht wahr?«, stellte er fest. Es war aus irgendeinem Grund nicht schwer für ihn, den Jungen zu lesen. Er nickte bei dieser Frage nur. 

»Heute werden wir nicht mehr zu ihm können, aber wenn du willst, kannst du morgen vorbei kommen und dich davon überzeugen, ob es ihm besser geht. Was sagst du dazu?« Mit diesem Vorschlag schien er Souls Laune zu verbessern. Wieder leuchteten seine Augen auf und er nickte ganz doll mit dem Kopf.

»Ja, das wäre toll!« Jerome lächelte und forderte Soul ein letztes Mal auf zurück zu seinen Eltern zu gehen. Nur widerwillig stand Soul auf, sah aber ein, dass es das Beste wäre, wenn er zurück ins Hotel ging. 

 

Keine Stunde später erreichten sie das Hotel. Jerome begleitete Soul auch noch bis hoch in die siebte Etage, wo gerade eine Tür heftig zuknallte. Es war Souls Vater, der voller Wut schäumte und an ihnen vorbei rauschte. Er nahm nicht einmal Notiz davon, dass sein Sohn wieder aufgetaucht war. Soul sah ihm nicht nach, allerdings Jerome. Täuschte er sich oder war das nicht der Vater des Jungen? Er wollte schon etwas sagen, als ihm auffiel, dass Soul weiter gegangen war und mit seinem Schlüssel die Hotelzimmertür öffnete. Jerome wunderte das alles sehr. Wieso ließ man den Jungen so allein? Das war sehr ungewöhnlich. Er ging an dem Zimmer der Eltern vorbei und auf Soul zu. 

»Hey, deine Eltern wissen wohl nicht, dass du ausgebüxt bist?«, wollte er von ihm leise wissen. Soul sah zu Boden. Er selbst begriff noch nicht einmal, dass seine Eltern nichts davon mitbekommen hatten. Waren sie echt ins Hotel zurückgekehrt, ohne zu bemerken, dass er weg war? Hatten sie sich keine Sorgen gemacht? Sie waren wohl so sehr in ihrem Streit gefangen gewesen, dass sie nichts mitbekommen hatten. Konnte das echt der Grund sein? Sein Vater war jedenfalls wütend davon gelaufen und selbst seine Mutter konnte man noch im Nebenraum vor sich hin meckern hören. Es klang nicht so, als würde sie sich Sorgen um einen verlorenen Sohn machen. 

»Okay, pass auf, ich werde deinen Eltern nichts darüber sagen, wenn du mir versprichst, dass du nicht wieder so spät alleine unterwegs bist, ja?« Jerome hatte sich zu dem Jungen nieder gehockt und sah ihn besorgt an. In dieser Familie lief einiges schief. Da brauchte man kein Experte zu sein, um das zu wissen. Jerome hatte solche Eltern schon an anderer Stelle gesehen und wusste leider, dass diese mit sich nicht so einfach reden ließen. Wenn er jetzt ihnen erzählte, dass ihr Sohn draußen unterwegs gewesen war, würde Soul der Leidtragende sein und alles abbekommen. So viel war sicher. Das wollte Jerome dem Jungen auch nicht zumuten, obwohl er nicht sicher war, ob er nicht am Ende doch Ärger bekam. Man musste sich nur Souls Sachen ansehen, um sich einen Teil zu denken. Wenigstens versprach der Junge ihm, nicht noch einmal allein umher zu laufen, sofern er denn wirklich das Pokémon im Center noch einmal besuchen durfte. Jerome lächelte ihm aufmunternd zu und legte seinen Kopf auf die schwarzen Haare des Jungen. Dieser zuckte leicht zusammen, doch davon ließ sich Jerome nicht beirren und wuschelte ihm durch die Haare.

»Alles klar, wir sehen uns morgen in der Lobby«, sagte er und verabschiedete sich von ihm. Soul sah ihn verdutzt nach. Er war zusammengezuckt, weil es so ausgesehen hatte, als würde er ihn … Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er einen Klaps bekam. Seine Mutter rutschte manchmal die Hand aus, wenn sie ungeduldig wurde, wobei sie ihn meistens nur grob packte, um ihn mit sich zu schleifen. Sein Vater war allerdings nicht besser, auch wenn das noch viel seltener vorkam. Wenn er wirklich wütend war, dann war es besser, wenn Soul sich irgendwo versteckte und sich nicht blicken ließ. 

 

Da Soul schon alt genug war, wusch er sich an jenem Abend alleine. Seine dreckige Kleidung versteckte er ganz weit unten im Koffer. Spätestens Zuhause würde es auffallen, falls seine Mutter diese beim Wäschewaschen genauer betrachtete. Aber so hatte er vielleicht die Chance, dass er nicht sofortigen Ärger bekam. An diesem Abend waren seine Eltern jedenfalls nicht einmal mehr ins Zimmer zu ihm gekommen. Stattdessen konnte Soul ihre lauten Stimmen aus dem Nachbarzimmer vernehmen, da sie sich weiterhin stritten. Erst als er einschlief, kam Ruhe herein, weil er den Streit dann nicht mehr mitbekam. 

Am nächsten Morgen herrschte dafür unheimliche Stille. Bisher hatten seine Eltern auch nach den Streitereien noch miteinander geredet. Meistens dann gereizt, aber sie hatten in irgendeiner Weise miteinander kommuniziert. Dass sie überhaupt nichts sagten und sich gegenseitig anschwiegen, war geradezu beängstigend. Von unten sah Soul zu seiner Mutter hinauf, die ihre große Sonnenbrille auf der Nase trug, dabei befanden sie sich immer noch im Hotel. Es war also gar nicht notwendig sie aufzusetzen. Trotzdem dachte sie nicht im Entferntesten daran sie abzunehmen und packte sich eher lustlos das Frühstück auf ihren Teller. Wie es oft in Hotels üblich war, gab es ein Frühstücksbuffet. Da sie nun schon einige Tage hier waren, wusste auch Soul, wo er was finden konnte. Leider war es gar nicht so einfach mit der geringen Körpergröße an alle Sachen heran zu kommen und obwohl seine Eltern die Tage zuvor noch ihm dabei geholfen hatten seinen Teller zu füllen, schienen sie nun dafür völlig blind zu sein. Sie waren beide in ihren eigenen Gedanken versunken und bekamen nicht mit, wie Soul damit kämpfte wenigstens seine Müslischale voll zu bekommen. Die Milchkanne schwankte bereits gefährlich, da sie voll war und dementsprechend ein Gewicht besaß. Ein Gewicht, was für einen achtjährigen Jungen schon zu einem Problem werden konnte. Gäste und auch Hotelmitarbeiter sahen die nahende Katastrophe aus der Ferne und vielleicht hätte einer von ihnen sich erbarmt, dem Jungen zu helfen, wenn es nicht bereits der Mann tat, der in seinem weißen Kittel dastand und eine Hand nach der Kanne ausstreckte. Soul erschrak sich und folgte der Hand über den Arm bis zu dem Gesicht des Mannes. Die Bartstoppeln am Kinn, wie auch die sanften hellgrünen Augen erkannte Soul sofort. Es war Jerome Fournier, den er die letzten Tage immer wieder gesehen hatte.

»Guten Morgen, Soul«, begrüßte der Feldforscher den Jungen. Auch wenn dieser sich nie selbst mit seinen Namen vorgestellt hatte, war es nicht schwer herauszufinden gewesen, wie er hieß. Gerade seine Mutter war laut und deutlich gewesen, als sie beim ersten Mal ihren Sohn gerufen hatte.

»G-guten Morgen«, brachte etwas stotternd Soul hervor und bedankte sich artig dafür, dass Jerome ihm dabei half seine Müslischale mit Milch zu füllen.

»Und? Haben deine Eltern gestern noch etwas zu deinem Ausflug gesagt?«, wollte Jerome vorsichtig wissen. Er konnte nicht sagen warum, aber aus irgendeinem Grund mochte er den Jungen und machte sich dementsprechend auch ein paar Sorgen um ihn. Die Eltern hatten bisher nicht sehr freundlich gewirkt und wer wusste schon, wie es hinter verschlossenen Türen zur Sache ging? Doch Soul schüttelte auf die Frage nur den Kopf. Obwohl es gut war, dass er keinen Ärger bekommen hatte, war es auch bedrückend, dass sie ihren Sohn dermaßen links liegen ließen. Jerome hätte dem Jungen gerne mehr Fragen zu der familiären Situation gestellt, doch weder war das hier der rechte Ort noch der passende Zeitpunkt. Stattdessen fuhr er mit einem anderen Thema fort.

»Soll ich mal deine Eltern fragen, ob sie was dagegen haben, wenn du den Tag bei mir verbringst? Natürlich ganz im Sinne der Forschung und des Lernens!«, schlug er vor und Soul bekam einen fragenden Gesichtsausdruck. 

»Du möchtest doch noch immer das Hunduster von gestern wiedersehen, oder?« Bei dieser Frage nickte Soul sofort.

»Ja!« Das war so was von klar gewesen! Jerome lächelte erneut und begleitete den Jungen zu dem Tisch, wo seine Eltern bereits saßen und immer noch wenig Begeisterung ausstrahlten. Immerhin hatten sie ein paar Worte miteinander gewechselt, wenn auch sehr gereizte. 

»Entschuldigen Sie die Störung«, begann Jerome und ignorierte völlig die schlechte Stimmung am Tisch. 

»Ich bin Jerome Fournier, Pokémon-Feldforscher«, stellte er sich gleich vor. Souls Vater sah auf und auch seine Mutter betrachtete den Forscher skeptisch hinter ihrer Sonnenbrille.

»Was wollen Sie?«, wollte Serge wissen, der wenig angetan von dieser Störung war.

»Ich wollte Sie nur um Ihre Erlaubnis bitten, dass ihr Sohn den Tag bei mir verbringen kann. Sehen Sie, ich biete für Kinder ein paar Kurse an, wo sie mehr über Pokémon erfahren und lernen können. Ihr Sohn scheint daran sehr interessiert zu sein.« Ganz so abwegig war diese kleine Ausrede, die Jerome brauchte, um die Eltern zu überzeugen, gar nicht. Tatsächlich bot sein kleines Forschungslabor einige Kurse und Führungen an, denn er und einige andere Mitarbeiter trieben nicht nur Feldforschung, sondern waren auch mit dem hiesigen Museum eng verbunden. Fossilien gehörten genauso zum Forschungsgebiet wie die Verhaltensweisen der wildlebenden Pokémon. 

»Dafür haben wir kein Geld«, meinte Camille knapp und widmete sich wieder ihrem Frühstücksbrötchen. Was fiel auch diesem komischen Typen ein, sie hier am Frühstückstisch zu belästigen? Jerome war kurz perplex, fing sich aber schnell wieder. Allein, dass Soul so niedergeschlagen wirkte, trieb ihn dazu an, mehr Überzeugungsarbeit zu leisten.

»Aber nicht doch, ich fürchte Sie haben mich falsch verstanden«, korrigierte er sich. »Die Kurse sind komplett kostenfrei. Sie haben also überhaupt keinen Aufwand. Ich möchte natürlich nicht Ihren geplanten Urlaub durcheinander bringen, sollten Sie bereits heute etwas anderes vorgehabt haben. Ihr Sohn würde nur sehr gerne bei meinem Kurs teilnehmen, wie er mich vorhin wissen ließ, als ich ihm davon erzählte.« Ob das ausreichte? Die Eltern wirkten alles andere als angetan. Zugegeben, es war nicht gerade die konventionelle Art Eltern darauf hinzuweisen, dass es für Kinder derartige Angebote gab. Viel Begeisterung konnte man noch immer nicht erkennen und Souls Vater wollte noch einmal wissen, wer er genau war. Deswegen wiederholte Jerome auch noch einmal seine Vorstellung und präsentierte ihm auch gleich seinen Forscherausweis. Sollte also in der Hinsicht irgendwelche Bedenken geben, konnte sich Souls Vater direkt an sein Forschungsinstitut wenden und dort nachfragen. 

»Na, von mir aus«, brummte er, womit die Sache sich für ihn erledigt hatte.

»Serge!«, ermahnte ihn Camille, doch er zuckte nur die Schultern.

»Was denn? Dann hat der Bengel wenigstens was zu tun«, meinte er nur. Camille widersprach ihm nicht. Geplant hatten sie für heute nichts, da sie alle ihre Ruhe haben wollten. Vor allem voneinander. Souls Mutter würde sich wieder an den Strand legen und da mal nicht auf ihren Sohn aufpassen zu müssen, kam ihr mehr als gelegen. Von ihrem Mann konnte sie schlecht erwarten, dass er sich um ihn kümmerte. Er hatte noch nie viel Interesse an Soul gezeigt. Daher stimmte auch Souls Mutter zu, weswegen Soul selbst ganz aufgeregt war. Er durfte wirklich mit Jerome mitgehen und damit auch das verletzte Hunduster von gestern besuchen!

»Gut, wir sehen uns dann nach dem Frühstück«, meinte Jerome und deutete durch den Raum an einen anderen Tisch, wo er selbst sitzen würde. Er wollte das Frühstück der Familie nicht länger als notwendig stören und wenigstens diese kurze Zeit sollte der Sohnemann bei seinen Eltern verbringen. Auch wenn Soul alles andere als danach aussah, dass er viel Zeit mit dem Frühstück verschwenden wollte. Kaum war Jerome gegangen, saß Soul auf seinem Stuhl und schlang förmlich das Müsli in sich rein. Er war noch nicht mal richtig fertig mit kauen, als er dann nach einigen Minuten wieder aufsprang und los stürmen wollte.

»Hey, hey, hey!«, rief seine Mutter ihm nach. Soul fürchtete, dass sie ihn noch nicht gehen lassen wollte, doch alles, was sie noch sagte, war: »Zum Abendessen bist du gefälligst wieder zurück!«

»Ja!«, antwortete er ihr und lief zu dem Feldforscher, der überrascht davon war, wie schnell Soul wieder bei ihm war.

»Na, das ging ja fix«, sagte er lächelnd.

»Können wir gleich das Hunduster besuchen gehen?«, wollte Soul wissen und Jerome grinste über das ganze Gesicht. Dieses Pokémon hatte es Soul wohl sehr angetan.

»Wir können vorbei schauen, aber ich kann dir leider noch nicht versprechen, dass wir es auch sehen können. Falls es ihm noch nicht gut genug geht, wird es noch Ruhe brauchen, okay?« Soul nickte bei den Anweisungen des Forschers und sobald dieser seinen Kaffee getrunken hatte, gingen sie los.

 

Bisher mochte der Urlaub mit seinen Eltern wenig Positives mit sich gebracht haben, doch jetzt, wo Soul die Chance hatte mit Pokémon in Kontakt zu kommen und vor allem nicht die ganze Zeit den Streitereien seiner Eltern ausgesetzt war, blühte er richtig auf. Jerome konnte mehr als nur einmal ein Lächeln auf Souls Gesicht entdecken und freute sich für den Jungen. 

Sie erreichten schon bald das Pokémon-Center, wo Soul es gar nicht mehr erwarten konnte. Bis die Ärztin für sie Zeit hatten, dauerte es noch eine kurze Wartezeit, doch dann erfuhren sie endlich, wie es dem verletzten Pokémon ging.

»Es ist noch sehr geschwächt, aber es ist bei Bewusstsein«, sagte die Ärztin. 

Für Soul war nur eines wichtig: »Darf ich es sehen?« So sehr wollte er sich selbst davon überzeugen, dass es dem Pokémon etwas besser ging, dass die Ärztin Erbarmen zeigte und den Forscher und den Jungen in den hinteren Bereich des Centers brachte. Normalerweise hatte hier nur das Personal Zutritt, da das Center sich über viele verletzte Pokémon kümmerte, die alle ihre Ruhe brauchten. Manche von ihnen hatten schwere Operationen hinter sich, andere kurierten sich nach einem anstrengenden Kampf und andere bekämpften eine hartnäckige Erkältung, die sie zuvor einfach nicht los bekommen hatten. Es gab viele verschiedene Gründe, warum ein Pokémon ins Center kam, doch unterm Strich lag es immer daran, dass es ihm nicht gut ging und daher ärztliche Versorgung brauchte. Im hinteren Bereich gab es einen Raum, wo unter anderem wilde Pokémon untergebracht wurden, die von Trainern oder anderen Menschen gefunden und hergebracht worden sind.

»Wir päppeln die wilden Pokémon auf, damit wir sie später wieder ins Freie entlassen können«, erklärte die Ärztin dem Jungen, der interessiert an ihren Lippen hing. Sie waren an manchen Zimmern vorbei gekommen, in die man hinein gucken konnte. Entweder weil die Türen offen standen oder weil es ein Fenster gab. In jeden von ihnen hatte Soul Pokémon sehen können. Bisher hatte er nie die Gelegenheit dafür gehabt mal hinter die Kulissen eines Centers zu blicken, weswegen das für ihn sehr aufregend war. 

»Hier sind unsere Behandlungsräume«, erklärte die Ärztin weiterhin, als sie an ein paar verschlossenen Türen vorbei kamen. 

»Pokémon, die schwerer verletzt oder erkrankt sind, werden erst einmal hier behandelt, ehe wir sie stationär aufnehmen, um sie zu pflegen. Einfachere Verletzungen oder Erkrankungen bedürfen keiner Aufnahme des Pokémons. Da kann es oftmals der Trainer wieder mit nach Hause nehmen.« Daher gab es auch im vorderen Bereich des Centers ebenfalls noch zwei Behandlungsräume, wo ein erster Blick auf die Pokémon geworfen wurde. Teilweise konnten sie sofort behandelt werden, manchmal aber auch nicht, so dass sie aufgenommen werden mussten. Die Ärztin hatte immer viel zu tun. Allein dass es in dieser Stadt eine Arena gab, lockte viele Trainer an, die wiederum ins Center kamen, um ihre Pokémon checken zu lassen. Waren sie noch fit genug, um zu kämpfen oder hatten sie vielleicht Verletzungen während eines Kampfes davon getragen? Ein guter Trainer kümmerte sich um seine Pokémon und sorgte dafür, dass sie möglichst bei bester Gesundheit waren. 

Endlich kamen sie auch in dem Zimmer an, wo das Hunduster untergebracht war. Es waren mehrere  Käfige, in denen Patienten für ihre Genesung vorerst hausten. Im ersten Moment sah das weniger erfreulich aus, doch die Ärztin erklärte, warum die Käfige nicht allzu groß waren. 

»Wir weisen Pokémon natürlich anhand ihrer Körpergröße den Käfigen zu. Diese dürfen dennoch nicht zu groß sein, da die meisten von ihnen verletzt sind und sich nicht ausgiebig bewegen, sondern ruhen sollen. Außerdem erleichtert es uns sie wieder einzufangen. Würden die Käfige sehr groß sein, hätten wir Probleme sie wieder zu fassen, was für eine Untersuchung zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde, vor allem da das Einfangen auch Stress für die Pokémon bedeutet«, erzählte die Ärztin. Auf Soul wirkten die Käfige tatsächlich nicht einladend. Nicht alle waren besetzt, doch positiv war anzumerken, dass jeder Käfig komfortabel ausgestattet war. Es befanden sich Kissen oder Decken darin, damit die Pokémon es so bequem wie möglich hatten und jedes der Pokémon besaß auch seine persönliche Futter- und Wasserschale. Außerdem wurden sie täglich zweimal aus den Käfigen geholt, nicht nur wegen der Behandlung, sondern auch um Auslauf zu bekommen. Sofern sie nicht zu verletzt waren und dementsprechend viel Ruhe benötigten. Aktuell durfte daher das verletzte Hunduster auch noch nicht raus. 

»Es hat strickte Bettruhe«, sagte die Ärztin, als sie dem Käfig näher kamen. Trotzdem sollte Soul ein wenig Abstand halten, da man schon jetzt erkennen konnte, dass das wilde Pokémon sehr nervös wurde. Es kroch in die hinterste Ecke des Käfigs zurück, um so viel Abstand wie möglich zu gewinnen.

»Es ist sehr scheu, was für diese Art nicht ungewöhnlich ist«, sagte die Ärztin und deutete dann auf den Verband um seine Flanke. 

»Bei dem Unfall gestern hat es sich leider zwei gebrochene Rippen eingehandelt, außerdem hat seine Schädelplatte erheblichen Schaden erlitten. Wir können von Glück reden, dass die Schädelplatte nicht gänzlich aufgesprungen ist. Den Riss werden wir so nicht komplett heilen lassen können, aber es wird gut damit leben können, sobald es weitestgehend verheilt ist.« Die Schädelplatte war aus festem Knochenmaterial und sehr viel härter als bei menschlichen Knochen. Das war sehr gut, denn so waren Hunduster sehr robust und konnten Hiebe, Schläge und Stöße gegen die Schädelplatte gut verkraften. In ihren Rudeln prallten sie oftmals auch mit den Köpfen gegeneinander, um die Rangordnung zu klären, aber nur in den seltensten Fällen passierte dabei etwas. Normalerweise schützte die Härte der Platte sie ausreichend, um keinen Schaden zu erleiden. Bei einem Autounfall sah das alles schon ganz anders aus. Da wirkten teilweise unglaublich hohe Kräfte und wenn das Pokémon dann auch noch falsch erwischt wurde, konnte es von Glück reden, wenn es nicht dabei starb. Dass dieses Hunduster nur zwei gebrochene Rippen besaß, eine angeknackste Schädelplatte und ein paar Prellungen war positiv zu vermerken. Es hatte wahrlich Glück gehabt! 

»Dieses blaue Zeug auf dem Kopf, was ist das?«, wollte Soul neugierig wissen. Ihm war aufgefallen, dass man irgend so ein blaues Zeug auf den Kopf des Hundusters geschmiert hatte, was ziemlich komisch aussah.

»Das dient zur besseren Wundheilung und desinfiziert die Wunde, damit sie sich nicht entzündet«, erklärte die Ärztin. »Damit wird es ihm bald wieder besser gehen. Sobald auch seine Rippen verheilt sind, können wir es wieder frei lassen.« Die Selbstheilung war nicht ganz ohne. Die Ärztin vermutete, dass das Hunduster nur ein paar Tage brauchte, um soweit wieder stabil zu sein, dass es in den Wald entlassen werden konnte. Das war gut, denn ein wildes Pokémon wollten sie nicht länger als nötig behalten. Es gehörte in die Wildnis, deswegen würde sich der Feldforscher um die Auswilderung kümmern. 

»Hey, wenn du möchtest, kannst du bei der Auswilderung dabei sein«, bot Jerome deswegen an. Sofern der Urlaub von Soul noch solange währte, konnte der Junge gerne dabei sein, wie sie das Hunduster zurück in die Wildnis schafften. Seine Eltern dürften hoffentlich nichts dagegen haben, aber wenn sie genauso wie vorhin sich überzeugen ließen, sah Jerome keine Probleme.

»Das wäre toll!«, stimmte Soul zu und seine Augen waren wieder ganz groß und leuchteten. Er besaß hübsche blaue Augen, die an den unendlichen Himmel erinnerten.

 

Den restlichen Tag verbrachte Soul mit Jerome draußen. Immer wenn sie ein Pokémon begegneten, sei es durch einen Trainer oder weil sie ein vorbei fliegendes Wingull sahen, erzählte Jerome etwas darüber. Soul wollte einfach alles wissen und saugte das Wissen wie ein kleiner Schwamm auf. Schon lange hatte Jerome keinen so wissbegierigen Zuhörer mehr gehabt, weswegen es ihm umso mehr Freude bereitete, dem Jungen die Welt der Pokémon zu erklären. Natürlich immer mit einfacheren Worten, damit er ihn nicht überforderte und er ihn verstand. Sie machten auch einen Abstecher ins Museum, wo Soul noch einmal einen Blick auf urzeitliche Fossilien werfen durfte. Es war herrlich zu sehen, wie begeistert der Junge dabei war und gar nicht genug entdecken konnte. Einer der Mitarbeiter des Museums stellte sich sogar zur Verfügung, um über die neusten Skelette zu berichten.

»Zwar haben wir schon vor Jahrzehnten Fossilien und Teile der Skelette von Balgoras und Amarino gefunden gehabt, aber solch ein gut erhaltenes Exemplar ist sehr selten.« Soul bestaunte die zwei Skelette, die zusammen gehörten. Der Museumsangestellte erklärte, dass sie hier einen Beutefang sehen konnten. Balgoras Kopf und damit seine messerscharfen Zähne waren direkt auf den langen Hals des Amarino gerichtet, weswegen die Forscher davon ausgingen, dass Amarinos mit zur Leibspeise von Balgoras gehörten. Dass die beiden gerade in diesem Augenblick verstarben und dann auch noch so gut erhalten waren, war einem zufälligen Naturschauspiel zu verdanken. Unter den Erdschichten, wo man sie gefunden hatte, waren sie gut konserviert worden, weswegen es aktuell ein sensationeller Fund in der Archäologie war. Sozusagen der ganze Stolz des Museums. 

Am Abend war Soul dann ziemlich erschöpft, doch ihm hatte der ganze Tag mehr Spaß gemacht, als alle Tage zuvor. 

»Darf ich morgen wieder das Hunduster besuchen?«, wollte er von Jerome wissen und sah ihn bittend an. Jerome konnte nicht anders als zu grinsen. Da hatte er dem Jungen die ganze Zeit über alle möglichen Pokémon Geschichten erzählt und doch hatte Soul das verletzte Pokémon nicht vergessen. Das war bemerkenswert. 

»Ich denke, dass lässt sich einrichten«, antwortete er ihm und sah Freude in Souls Gesicht aufkommen. Allerdings folgte kurz danach ein Gähnen.

»Wird Zeit, dass ich dich zurück ins Hotel bringe«, sagte Jerome, als er auf seine Armbanduhr sah. Seine Mutter wollte sowieso, dass der Junge spätestens zum Abendessen zurück war. Das war jetzt genau die Zeit, weswegen sie sich auf den Weg machten. Soul wollte zwar nur ungern zurück, aber etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Außerdem hatte er Hunger und war daher froh, als er etwas essen konnte. Da von seinen Eltern im Restaurant nichts zu sehen war, passte Jerome solange auf den Jungen auf und gönnte sich mit ihm bereits das Abendmahl. 

»Ich komme morgen früh wieder vorbei«, kündigte der Feldforscher an, damit Soul Bescheid wusste. Er würde wieder mit seinen Eltern reden, dachte aber nicht, dass das ein Problem darstellen würde. Diese schienen eh mit sich selbst beschäftigt zu sein, von daher dürften sie froh sein, nicht ständig auf ihren »Bengel« aufpassen zu müssen. 

Sie waren gerade mit dem Essen fertig und schlenderten rüber in die Lobby, als auf einmal Souls Mutter vorbei raste. Diese schien mal wieder aufgebracht zu sein, doch in ihrer Aufregung bemerkte sie dennoch ihren Sohn. Gereizt wie sie war, drehte sie sich um und packte Soul am Arm. Wie oft hatte sie das bereits in den letzten Tagen gemacht? Zu oft, weswegen Souls Handgelenk bereits einen blauen Fleck vorwies. 

»Da bist du ja endlich«, meinte sie. Jerome wollte sie gleich wegen morgen ansprechen, doch er kam nicht dazu. Sie war schlecht gelaunt und wimmelte den Feldforscher augenblicklich ab. Sie hatte es offenbar sehr eilig hinauf ins Zimmer zu kommen. Soul konnte sich gar nicht wehren und wurde einfach hinter ihr her geschleift. Einen Hilfesuchenden Blick warf er noch zu dem Feldforscher, aber was konnte er da schon groß machen? Er war selbst etwas perplex und hob nur noch leicht verstört die Hand zum Abschied. Was konnte er tun, um den Jungen zu helfen? Er seufzte, als die beiden im Fahrstuhl verschwanden. Jetzt mit der Mutter zu reden, würde nichts bringen. Sie hatte sehr aufgeregt gewirkt. In so einem Gemütszustand fasste nur selten Vernunft. Jerome nahm sich daher für morgen früh direkt vor mit ihr zu reden. Vielleicht konnte er doch etwas ausrichten? 

 

Zimmertürenknallen, Geschrei und Gepolter – das alles war sehr einfach aus dem Nebenzimmer zu hören, in dem Soul war. Er war bereits gewaschen und hatte seinen Schlafanzug angezogen, um ins Bett zu krabbeln. Ob er zum Schlafen kam? Schwer zu sagen. Heute war es mit dem Streit seiner Eltern besonders schlimm. Sie schrien so laut sich gegenseitig an, dass förmlich die Wände wackelten. Türenknallen war erneut zu hören. Das Badezimmer war ein guter Ort, um kurzzeitig sich aus dem Weg zu gehen, doch ewig blieb niemand dort drin und kurz darauf ging die Tirade auch schon weiter. 

Soul zog die Bettdecke weit über den Kopf und versteckte sich darunter. Er hatte sich eingerollt und klammerte sich an das Balgoras-Plüschtier, welches Jerome ihm heute als Andenken aus dem Museum gekauft hatte. Soul hatte es erst nicht haben wollen und so getan, als wäre es total doof, aber als Jerome ihm das Ding dann trotzdem in die Hand gedrückt hatte, war Freude in Soul aufgekommen. Jetzt war es sein stiller Anker, an dem er sich festklammerte und tunlichst versuchte dem Geschrei seiner Eltern zu entkommen. Er verstand nicht, worüber sie sich wieder stritten. Im Grunde genommen war das auch völlig egal. Sie konnten sich über alles streiten und gefühlt die Köpfe einschlagen. Als hätte er es geahnt, hörte Soul unter seiner Bettdecke etwas im Nebenzimmer scheppern. Vielleicht war eine Vase oder eines der Bilder von der Wand herunter gefallen. Kurz war Stille, ehe das Brüllen weiterging. Diesmal wurde sich darüber echauffiert, dass was zu Bruch gegangen war. Tief atmete der Junge ein und klammerte sich noch enger an das Plüschtier. Er wünschte sich, dass das alles ein Ende hatte. Dass seine Eltern endlich damit aufhören würden sich immer so sehr anzuschreien. Seit er denken konnte, kannte er im Prinzip nichts anderes. Selbst an Feiertagen oder gar zu Geburtstagen ließen sie es sich nicht nehmen zu streiten. Es brauchte nur eine Kleinigkeit und sie explodierten, ohne daran zu denken, was sie damit ihrem Sohn antaten. 

Soul versuchte das Geschrei auszublenden, aber es war schwer. Mittlerweile hämmerte an der Zimmertür seiner Eltern erbost ein anderer Hotelgast, der ebenso seine Ruhe haben wollte. Seine Eltern öffneten nicht, doch sie wurden still. Fürs Erste. Zwar schrien sie die restliche Nacht nicht mehr ganz so laut, doch mit dem gedämpften Gemecker im Hintergrund musste Soul trotzdem einschlafen. Die Nacht war dennoch für ihn unruhig und er bekam nur wenig Schlaf. Besonders weil seine Mutter am frühen Morgen in sein Zimmer gestürmt kam und damit begann seinen Koffer einzupacken.

»Los beeil dich und zieh dich an«, hatte sie nur gesagt, ohne ihn wirklich darüber in Kenntnis zu setzen, was los war. Soul war noch zu müde, um richtig zu begreifen, was hier vor sich ging. Erst etwas später begriff er, dass seine Eltern den Urlaub abbrachen und das Hotel verlassen wollten. Was das genau bedeutete, wurde Soul erst richtig bewusst, als er im Auto saß und dabei zusah, wie sie Relievera City verließen, um nach Hause zu fahren. Auf nach Escissia … 

Den Feldforscher hatte er am Morgen nicht mehr gesehen. Sie hatten noch nicht einmal gefrühstückt. Seine Mutter hatte ihm lediglich ein trockenes Brötchen in die Hände geschoben, woran er im Auto herum nagen durfte, doch der Hunger war dem Jungen vergangen. Widerworte waren sinnlos, deswegen hatte er gar nicht erst welche ausgesprochen. Die Hölle war jedoch die lange Autofahrt, denn dort ging das Gezeter weiter und seine Eltern gaben sich mal wieder gegenseitig die Schuld daran, dass sie den Urlaub abbrechen mussten. Hättest du dies nicht, hättest du das nicht … Solche Reden. Soul schloss die Augen und versuchte nicht hinzuhören, aber das war sehr schwer. Er versuchte an den gestrigen Tag zu denken. An den Feldforscher, der so nett gewesen war, ihm so vieles zu erzählen und zu zeigen. An das verletzte Hunduster, bei dessen Auswilderung er nicht mehr dabei sein durfte. An die Elternfreie Zeit, ohne Streit … an die hilflose Vorstellung, wie es wohl gewesen wäre, wenn Jerome Fournier sein Vater gewesen wäre und nicht Serge und Camille Blanch seine Eltern. An all das dachte Soul und wusste zugleich, dass er nichts ändern konnte. Er war nur das hilflose Kind, welches alles ertragen musste. 

Doch irgendwann, so schwor er sich, irgendwann …